Freude und Frust liegen bei Bietern im Vergabeverfahren oft nah beieinander. So zum Beispiel, wenn in einem langwierigen Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb zur „Programmierung von System- und Anwendersoftware“ die erlösende Mitteilung erfolgt, dass man im Rahmen der Eignungsfeststellung als Zuschlagskandidat ausgewählt wurde. Werden dann im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens Fragen aus der Eignungsprüfung behandelt, kann der sicher geglaubte Zuschlag verloren sein. Denn nicht selten wird dem Bieter nachträglich die Eignung abgesprochen.

Der Autor

Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.

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Der Vergabesenat bei dem OLG Düsseldorf hat in einem kürzlich ergangenen Beschluss (vom 29.03.2021, Verg 9 / 21) dezidiert zu der Frage Stellung genommen, ob eine Eignungsfeststellung im Rahmen des Teilnahmewettbewerbs bei gleichbleibendem Sachverhalt später noch einmal revidiert werden dürfe.

I. Der Sachverhalt

Die Vergabestelle schrieb einen Auftrag zur „Programmierung von System- und Anwendersoftware“ im Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb europaweit aus.

In der Auftragsbekanntmachung waren für vier sogenannte Referenzbereiche jeweils bis zu drei Referenzen gefordert.

Im Rahmen einer Bieterfrage erteilte die Vergabestelle die Auskunft, dass sich die geforderten Referenzen auf bereits umgesetzte Projekte beziehen müssten, die auch bereits in Betrieb genommen wurden.

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1. Rüge mit Verweis auf „Marktkenntnis“

Nachdem die spätere Antragstellerin von der beabsichtigten Zuschlagserteilung an die spätere Beigeladene erfahren hatte, rügte sie erfolglos die beabsichtigte Zuschlagserteilung. Im Kern führte sie aus, dass die Beigeladene nach ihrer Kenntnis aktuell keine entsprechende Anlage in der durch die Referenz geforderten Art und Weise betreibe.

Im späteren Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer untermauerte die Antragstellerin ihre Argumentation: Aufgrund ihrer Marktkenntnis könne sie ausschließen, dass die Beigeladene ein System betreibe, wie es mit dem betreffenden Referenzbereich von der Vergabestelle gefordert werde. In diesem Kontext verwies sie auch auf konkret benannte Gespräche mit der Beigeladenen.

2. Beschwerde beim OLG Düsseldorf

Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag zurückgewiesen und hielt die Referenz für ausreichend. Hiergegen richtet sich nun die sofortige Beschwerde der Antragstellerin bei dem Vergabesenat des OLG Düsseldorf.

II. Der Beschluss

Der Vergabesenat lehnte den auf § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB gestützten Antrag der Antragstellerin auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung bis zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde ab. Unter Berücksichtigung aller möglicherweise geschädigten Interessen würden die nachteiligen Folgen einer Verzögerung der Vergabe bis zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde die mit einer weiteren Verzögerung verbundenen Vorteile überwiegen. Dies gelte namentlich mit Blick auf die mangelnden Erfolgsaussichten der sofortigen Beschwerde. In dem Beschluss führte der Vergabesenat aus, dass es schon an einer ordnungsgemäßen Rüge fehle und die Beigeladene in diesem Stadium des Verfahrens ohnehin nicht mehr wegen angeblich nicht vorhandener Referenzen ausgeschlossen werden könne.

1. Welche Anforderungen sind an eine Rüge zu stellen?

Der Vergabesenat führte zunächst zu den allgemeinen Voraussetzungen einer Rüge im Sinne von § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB wie folgt aus:

Grundsätzlich sei zwar an Rügen ein großzügiger Maßstab anzulegen. Da ein Bieter naturgemäß nur begrenzten Einblick in den Ablauf des Vergabeverfahrens habe, dürfe er im Vergabenachprüfungsverfahren behaupten, was er auf der Grundlage seines – oft nur beschränkten – Informationsstands redlicherweise für wahrscheinlich oder möglich halten darf. So beispielsweise, wenn es um Vergaberechtsverstöße gehe, die sich ausschließlich in der Sphäre der Vergabestelle abspielten oder das Angebot eines Mitbewerbers beträfen.

Der Antragsteller müsse aber – wenn sich der Vergaberechtsverstoß nicht vollständig seiner Einsichtsmöglichkeit entzieht – zumindest Anknüpfungstatsachen oder Indizien vortragen, die einen hinreichenden Verdacht auf einen bestimmten Vergaberechtsverstoß begründen. Ein Mindestmaß an Substantiierung sei einzuhalten; reine Vermutungen zu eventuellen Vergaberechtsverstößen reichten nicht aus.

Bieter müssen von Anfang an konkret die Umstände benennen, die den Vergabestelleverstoß begründen sollen.

Da die Rüge den öffentlichen Auftraggeber in die Lage versetzen solle, einen etwaigen Vergaberechtsverstoß zeitnah zu korrigieren, sei es unabdingbar, dass der Antragsteller – um unnötige Verzögerungen des Vergabeverfahrens zu vermeiden und einem Missbrauch des Nachprüfungsverfahrens vorzubeugen – bereits frühzeitig diejenigen Umstände benenne, aufgrund derer er vom Vorliegen eines Vergaberechtsverstoßes ausgeht.

2. Formulierungen wie „Nach unserer Kenntnis“ genügen nicht

Aus Gründen der Beschleunigung wie auch zur Vorbeugung gegen den Missbrauch der Rüge bzw. des Nachprüfungsverfahrens sei dem öffentlichen Auftraggeber in der Regel nicht zuzumuten, auf gänzlich unsubstantiierte Rügen hin in eine (ggf. erneute) Tatsachenermittlung einzutreten. Daher sei der Antragsteller gehalten, schon bei Prüfung der Frage, ob ein Vergaberechtsverstoß zu rügen sei, Erkenntnisquellen auszuschöpfen, die ihm ohne großen Aufwand zur Verfügung stünden. Zudem müsse er, um eine Überprüfung zu ermöglichen, angeben, woher seine Erkenntnisse stammen. Formulierungen wie „nach unserer Kenntnis“ oder „nach unserer Informationslage“ würden in der Regel nicht genügen.

3. Die Rüge im vorliegenden Fall

Das Vorbringen der Antragstellerin im Rügeschreiben habe sich auf eine solche unzureichende Floskel beschränkt. Die Formulierung „soweit uns bekannt ist“ lasse nicht erkennen, auf welcher Informationsgrundlage die Antragstellerin zu der Bewertung gekommen sei, dass die Beigeladene keine Referenz habe vorlegen können, die den Anforderungen des Referenzbereichs genüge. Tatsächliche Anhaltspunkte oder Indizien, die für den von ihr gerügten Vergaberechtsverstoß hätten sprechen können, habe die Antragstellerin nicht vorgetragen.

Dies sei ihr schon zum Zeitpunkt des Rügeschreibens ohne Weiteres möglich gewesen, wie ihr Vorbringen im Nachprüfungsantrag zeige. Mit diesem habe sie ihre konkreten Besprechungen mit der Beigeladenen offengelegt und hierzu Einzelheiten vorgetragen sowie auf ihre Marktkenntnisse verwiesen. Das nachträgliche Vorbringen im Nachprüfungsantrag könne eine ordnungsgemäße Rüge vor Einleitung des Nachprüfungsverfahrens jedoch nicht mehr ersetzen. Denn gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB sei eine ordnungsgemäße Rüge vor Einreichen des Nachprüfungsantrags zu erheben. Dementsprechend verneinte der Vergabesenat das Vorliegen einer ordnungsgemäßen Rüge.

4. Begründet der Teilnahmewettbewerb einen Vertrauenstatbestand?

Der Vergabesenat hielt den Nachprüfungsantrag für unbegründet. Die Entscheidung der Vergabestelle, das Angebot der Beigeladenen nicht gemäß § 57 Abs. 1 VgV von der Wertung auszuschließen, verletze die Antragstellerin nicht in ihrem Anspruch auf Einhaltung der Bestimmungen über das Vergabeverfahren aus § 97 Abs. 6 GWB.

Ein Wertungsausschluss des Angebots der Beigeladenen aufgrund der Vorlage einer die aufgestellten Anforderungen verfehlenden Referenz komme nicht mehr in Betracht. Denn die Vergabestelle habe die Eignung der Beigeladenen im Rahmen des Teilnahmewettbewerbs bejaht und die Beigeladene zum Verhandlungsverfahren zugelassen.

Im Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb prüfe der öffentliche Auftraggeber gemäß § 42 Abs. 2 Satz 1 und § 52 Abs. 1 i.V.m. § 51 VgV die Eignung der am vorgeschalteten Wettbewerb teilnehmenden Unternehmen, bevor er sie zum Verhandlungsverfahren zulässt.

Positive Eignungsprüfung im Teilnahmewettbewerb begründet Vertrauenstatbestand

Dadurch werde mit der positiven Eignungsprüfung – anders als im offenen Verfahren – ein Vertrauenstatbestand für die zum Verhandlungsverfahren zugelassenen Unternehmen begründet. Sie müssten nicht damit rechnen, der ihnen durch die Erstellung der Angebote und Teilnahme am Wettbewerb entstandene Aufwand könne dadurch nachträglich nutzlos werden, dass der Auftraggeber ihre Eignung auf – wie hier – gleichbleibender tatsächlicher Grundlage später nochmals abweichend beurteilt.

Dieser Vertrauenstatbestand im Interesse einer fairen Risikoabgrenzung zwischen öffentlichem Auftraggeber und Bieterunternehmen stehe einer späteren Verneinung der Eignung auf gleichbleibender Tatsachengrundlage entgegen. Dabei handele es sich letztlich um einen in § 242 BGB wurzelnden Grundsatz, der allgemein gelte.

Mitbieter müssen fehlerhafte Bejahung der Eignung von Wettbewerbern hinnehmen

Mitbieter im Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb hätten danach einen Vergaberechtsverstoß, der in der fehlerhaften Bejahung der Eignung eines Unternehmens am Ende des Teilnahmewettbewerbs liegt, ab der Begründung des Vertrauenstatbestands hinzunehmen.

Ob Ausnahmen von diesem Grundsatz dann zu gelten hätten, wenn Anhaltspunkte dafür bestünden, dass die fehlerhafte Bejahung der Eignung auf sachfremden, manipulativen Erwägungen beruht, die mit den Grundsätzen des fairen Wettbewerbs und der Gleichbehandlung unvereinbar seien, könne dahinstehen. Hierzu sei weder etwas vorgetragen, noch ersichtlich.

Ob die von der Beigeladenen zum Referenzbereich 2 vorgelegten Referenzen den von den Antragsgegnern formulierten Anforderungen tatsächlich nicht genügen würden, könne nach alledem dahinstehen.

Von Praktikern, für Praktiker: Die cosinex Akademie

III. Hinweise zur Praxis

Die vorstehende Entscheidung besticht durch klare Formulierungen. Allerdings bleiben sowohl im Hinblick auf die Rüge, als auch mit Blick auf den Vertrauenstatbestand Fragen offen:

Zunächst hat der Ansatz des Vergabesenats etwas Bestechendes: Bleibt der Rügende in seiner Sachverhaltsdarstellung unnötig vage, liegt keine Rüge vor. In dem vorliegenden Fall hatte die Vergabestelle das Vorbringen allerdings als Rüge gewertet und inhaltlich hierzu Stellung bezogen. Insoweit hatte die Vergabestelle offensichtlich „genug Fleisch am Knochen“, um das Rügevorbringen prüfen zu können. Es bleibt abzuwarten, ob auch andere OLG in dieser Konstellation das Vorliegen einer Rüge nachträglich verneinen und den Rechtsschutz aus diesem Grund versagen.

Auch die Ausführungen zum Vertrauenstatbestand der Eignungsprüfung erscheinen in dieser Absolutheit hinterfragenswert. Letztlich könnte die Situation entstehen, dass im Teilnahmewettbewerb die Eignungsprüfung beispielsweise im Bereich der Referenzen falsch durchgeführt wurde. Würde jetzt der Vertrauenstatbestand des für geeignet erklärten Bieters einer Neubewertung entgegenstehen, könnte ein objektiv nicht geeigneter Bieter den Zuschlag erhalten. Damit stünde der Beschaffungserfolg des öffentlichen Auftrags insgesamt infrage.

Fraglich wäre, ob es in dieser Konstellation nicht angezeigt wäre, diesem Bieter einen Anspruch auf Ersatz der Angebotserstellungskosten zuzubilligen. Darüber hinaus muss der Weg frei bleiben, Fehler in der Eignungsprüfung zu revidieren. Denn letztlich soll ein Vergabeverfahren sicherstellen, dass der Staat die Sachmittel und Dienstleistungen erhält, die er zum Funktionieren braucht.

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