Fristen im Vergabeverfahren

Das Thema Fristen im Vergabeverfahren ist auch für uns ein Dauerbrenner. Mit unterschiedlichen Funktionen in unseren Lösungen unterstützen wir seit Jahren bereits die Fristermittlungen bei Ausschreibungen unter Berücksichtigung zum Teil regionaler Feiertage, interner Vorgaben und vielem mehr. Mit neuen Funktionen rund um die erweiterte Terminplanung bei Vergabeverfahren in der letzten Version des VMS und unserem neuen Dienst fristenrechner.de ist die Fristermittlung für uns auch anlässlich der Vergaberechtsreform ein praxirelevantes Thema. Durch die deutliche Verkürzung insb. der Angebotsfrist kommt in der Praxis dabei zunehmend der Aspekt zum Tragen, dass die gesetzlich vorgegebenen Fristen lediglich Mindestfristen darstellen, die in jedem Einzelfall auch angemessen sein müssen.

Auch vor diesem Hintergrund freuen wir uns über einen aktuellen Gastbeitrag von Herrn Dr. Christian-David Wagner, Fachanwalt für Vergaberecht, der die wichtigsten Aspekte der Neuregelung zu den Fristen im Vergabeverfahren praxisnah darstellt und hierbei insb. die Regelung zur Angemessenheit im Einzelfall nach § 20 Abs. 1 VgV beleuchtet.

Fristen und ihre Bedeutung im Vergabeverfahren

Fristen – sie sind des einen Leid, werden sie versäumt, und des anderen Freud, laufen sie, wie etwa die Wartefrist des § 134 GWB, ohne weiteres ab. In jedem Fall kommt den Fristen in der Beschaffungspraxis eine besondere Bedeutung zu. Es verwundert daher nicht, dass eine Vielzahl der vergaberechtlichen Vorschriften Fristenregelungen zum Gegenstand haben.

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Mindestfristen gemäß VgV

Die besondere Bedeutung der Fristen im Vergabeverfahren wurde noch einmal dadurch erhöht, dass der Verordnungsgeber die Mehrzahl der verfahrensrelevanten Fristen im Zuge der Vergaberechtsreform gekürzt hat. Beispielhaft sei an dieser Stelle nur auf die Angebotsfrist des offenen Verfahrens gemäß § 15 VgV verwiesen. Danach beträgt die Angebotsfrist im Regelfall nur noch (mindestens) 35 Tage anstelle von 52 Tagen. Werden elektronische Angebote akzeptiert, kann diese Frist gemäß § 15 Abs. 4 VgV sogar um weitere fünf Tage, auf (mindestens) 30 Tage gekürzt werden (siehe nachfolgende Abb.).

offenes Verfahrennichtoffenes VerfahrenVerhandlungsverfahrenWettbewerblicher DialogInnovationspartnerschaft
Teilnahmefrist Regelfall30 Tage30 Tage30 Tage30 Tage
Teilnahmefrist bei hinreichend begründeter Dringlichkeit≥ 15 Tage≥ 15 Tage
Angebotsfrist Regelfall35 Tage30 Tage30 Tage
Angebotsfrist bei elektronischer Übermittlung30 Tage25 Tage25 Tage
Angebotsfrist bei gegenseitigem Einvernehmengem. Vereinbarunggem. Vereinbarung
Angebotsfrist ohne gegenseitiges Einvernehmen≥ 15 Tage≥ 10 Tage≥ 10 Tage
Angebotsfrist bei hinreichend begründeter Dringlichkeit≥ 10 Tage≥ 10 Tage
Angebotsfrist bei Veröffentlichung einer Vorinformation15 Tage10 Tage10 Tage

Die mit der generellen Fristverkürzung bezweckte Verfahrensbeschleunigung ist allerdings nur soweit möglich, wie es der Verfahrensgegenstand überhaupt zulässt. Von daher verpflichtet § 20 Abs. 1 VgV öffentliche Auftraggeber, bei der Festlegung der Fristen für den Eingang der Angebote und Teilnahmeanträge die Komplexität der Leistung und die Zeit für die Ausarbeitung der Angebote angemessen zu berücksichtigen. Soweit erforderlich, müssen öffentliche Auftraggeber die Mindestfristen mithin angemessen verlängern. Gerade bei komplexen Vergabeverfahren sei öffentlichen Auftraggebern daher geraten, die Länge der konkret gewählten Verfahrensfristen in der Vergabeakte zu dokumentieren und zu begründen.

Pflicht zur Fristverlängerung

Daneben regeln § 20 Abs. 3 VgV sowie § 40 Abs. 2 und 3 VgV weitere Fälle, in denen öffentliche Auftraggeber verpflichtet sind, die Fristen – insbesondere die Angebotsfristen – angemessen zu verlängern. Hervorzuheben ist dabei die Regelung des § 20 Abs. 3 Nr. 2 VgV. Danach ist die Frist zu verlängern, wenn der öffentliche Auftraggeber wesentliche Änderungen an den Vergabeunterlagen vornimmt. Im Vergleich zur „alten“ Rechtslage stellt § 20 Abs. 3 Nr. 2 VgV einen Paradigmenwechsel dar. Vor In-Kraft-Treten der Vergaberechtsreform hätte eine wesentliche Änderung der Vergabeunterlagen eine Aufhebung der Ausschreibung nach sich gezogen. Die den Bietern bekannt gemachten Verdingungsunterlagen mussten grundsätzlich unverändert bleiben. Dies folgte aus den Grundsätzen der Selbstbindung des Auftraggebers sowie des Vertrauensschutzes der Bieter. Einschränkend gilt jedoch, dass das Recht zur wesentlichen Änderung der Vergabeunterlagen auch nach der neuen Rechtslage nicht uneingeschränkt gilt. Die Grenze der Zulässigkeit dürfte dort erreicht sein, wo die Grundlagen des Wettbewerbs dergestalt verändert werden, dass sie den Entschluss der Unternehmen zur Beteiligung oder Nichtbeteiligung am Wettbewerb berühren.

Frist zur letztmaligen Stellung von Bieterfragen

Ferner ist nach § 20 Abs. 3 Nr. 1 VgV eine Fristverlängerung geboten, wenn öffentliche Auftraggeber zusätzliche Informationen nicht spätestens sechs bzw. vier Tage vor Ablauf der Angebotsfrist zur Verfügung stellen können. Anderenfalls ist nicht gewährleistet, dass die Unternehmen die zusätzlichen Informationen im Rahmen der Angebotserstellung berücksichtigen können. Wenn öffentliche Auftraggeber die Antworten auf Bieterfragen binnen einer konkret geregelten Frist beantworten müssen, stellt sich natürlich die Frage, ob öffentliche Auftraggeber eine Frist festlegen dürfen, binnen derer Bieterfragen gestellt werden müssen. Den Vergabevorschriften selbst kann keine entsprechende Fristenregelung entnommen werden. Allerdings ist nach der Rechtsprechung anerkannt, dass der Vergabestelle „als Herrin des Vergabeverfahrens“ auch die Möglichkeit offen steht, klare Regeln für Bieterfragen vorzugeben (vgl. zuletzt OLG Saarbrücken, Beschluss vom 18.05.2016 – 1 Verg 1/16). Der Vergabesenat sah danach sogar eine Frist von 17 Kalendertagen vor Ablauf der Angebotsabgabe für zulässig an.

Unabhängig der Tatsache, dass die Festlegung einer Frist für Bieterfragen stets anzuraten ist, sollten öffentliche Auftraggeber jedoch darauf achten, dass sich die ordnende Funktion der Frist nicht ins Gegenteil verkehrt. Dies ist nämlich immer dann der Fall, wenn die gewählte Frist den Bietern keine ausreichende Möglichkeit zur Angebotsbearbeitung lässt. Folgendes Beispiel soll dies illustrieren:

Im Rahmen eines offenen Verfahrens lässt der Auftraggeber die Einreichung der Angebote auf elektronischem Wege zu. Dementsprechend bestimmt er die Angebotsfrist gemäß § 15 Abs. 4 VgV auf 30 Kalendertage ab dem Tag der Versendung der Bekanntmachung. Sofern die Bekanntmachung im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union drei Tage nach Versendung der Bekanntmachung erfolgt, haben die Bieter im Idealfall am vierten Tag nach der Versendung die Vergabeunterlagen vorliegen. Würde der öffentliche Auftraggeber die Frist für Bieterfragen am 17. Kalendertag vor der Angebotsfrist ablaufen lassen, verblieben den Unternehmen gerade einmal 10 Tage, um Bieterfragen zu stellen, Wochenenden eingeschlossen.

Die Wahrscheinlichkeit, dass die Frist in einem derartigen Fall ungenügend oder sogar ungenutzt verstreicht, ist hoch. Sofern die Vergabeunterlagen beispielsweise Unklarheiten enthalten, würde dies im Ergebnis nur dazu führen, dass der Auftraggeber entweder mangels klärender Bieterfragen unzureichende Angebote erhielte oder aber eine Rüge wegen eines Verstoßes gegen das Gebot der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung einginge. Beide Alternativen wären dem Vergabeverfahren nicht dienlich.

Sofern öffentliche Auftraggeber eine Frist für Bieterfragen vorgeben, sollte daher unbedingt darauf geachtet werden, dass sowohl die Frist für Bieterfragen als auch die Angebotsfrist ausreichend bemessen sind. In der Vergabepraxis hat sich dabei eine Frist für Bieterfragen von 10-12 Tage vor Ablauf der Angebotsfrist als angemessen herausgebildet. Und sollte die Mindestfrist für den Eingang der Angebote im Einzelfall nicht genügen, sollte die Angebotsfrist im Sinne des § 20 Abs. 1 VgV angemessen verlängert werden.

Zum Autor

Wagner

Der Autor Dr. Christian-David Wagner ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht. Seit 2010 ist er zudem Lehrbeauftragter für Beschaffungswesen und Vergaberecht an der Hochschule Harz im Bereich Verwaltungswissenschaften und führt seit einigen Jahren erfolgreich die Kanzlei Wagner Rechtsanwälte.

Herr Dr. Wagner betreut national und international agierende TK-Unternehmen, IT-Dienstleister, aber auch Bauunternehmen sowie öffentliche Auftraggeber.