Die Beschaffung der Luca-App in Mecklenburg-Vorpommern hatte ein vergaberechtliches Nachspiel

Die Beschaffung der Luca-App in Mecklenburg-Vorpommern hatte ein vergaberechtliches Nachspiel: Ein Mitbewerber sah sich ebenfalls in der Lage, eine derartige Kontaktnachverfolgungs-App anzubieten und stellte deshalb einen Nachprüfungsantrag.

Der Autor

Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.

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Erfährt ein Unternehmen von einer Direktvergabe an einen Wettbewerber, liegen die Nerven schnell blank. Oftmals steht der Vorwurf im Raum, man selbst hätte diesen Auftrag ebenso erfüllen können, so dass die Voraussetzungen für eine Direktvergabe nicht vorliegen. Dann stellt sich die Frage, inwieweit das eigene Produkt tatsächlich die Anforderungen an den beauftragten Leistungsgegenstand erfüllt. Zu der Frage, welche Auswirkungen Defizite haben, die mit geringem Aufwand beseitigt werden können, hat der Vergabesenat bei dem OLG Rostock (Beschluss vom 01.09.2021, 17 Verg 2 / 21) Stellung genommen.

I. Der SachverhaIt

Das Land Mecklenburg-Vorpommern hat die so genannte Luca-App im Wege der Direktvergabe von der späteren Beigeladenen beschafft. Zwingende Vorgabe war, dass die App über eine Schnittstelle zu dem von den Gesundheitsämtern genutzten Programm SORMAS (Surveillance, Outbreak Response Management and Analysis System) verfügt. Die Sache wurde weder ausgeschrieben noch wurden anderweitige Angebote eingeholt.

Die spätere Antragstellerin sah sich ebenfalls in der Lage, eine derartige Kontaktnachverfolgungs-App anzubieten und stellte deshalb einen Nachprüfungsantrag.

Die Vergabekammer hielt den Antrag für unbegründet und hat unter anderem darauf abgestellt, dass nur das Produkt der Beigeladenen über eine Schnittstelle zu SORMAS verfüge. Bei dieser Sachlage hätte die Beigeladene unmittelbar beauftragt werden dürfen, zumal die Sache gesteigert eilbedürftig gewesen sei.

Im Verfahren vor der Vergabekammer wies die Antragstellerin erfolglos darauf hin, dass eine entsprechende Schnittstelle binnen weniger Stunden hätte realisiert werden können. Hinzu trete, dass sich zwischenzeitlich ergeben habe, dass diese Schnittstelle für den Datentransfer gar nicht genutzt werde, sondern in der Praxis via Excel erfolge. Die Voraussetzungen für einen Excel-Transport habe die Beigeladene binnen 20 Minuten schaffen können.

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II. Der Beschluss des Vergabesenats

Der Nachprüfungsantrag war aus Sicht des Vergabesenats zwar zulässig, sachlich blieb er aber ohne Erfolg. Denn das Programm der Antragstellerin erfülle zwingende Kriterien nicht, die für die Beschaffung in willkürfreier und auch sonst zulässiger Weise aufgestellt worden seien. Mangels Zuschlagsfähigkeit der eigenen Lösung könne sich die Antragstellerin auf einen etwaigen Vergaberechtsverstoß nicht berufen.

1. Zur Zulässigkeit des Muss-Kriteriums

Nach Ansicht des Vergabesenats begegne es keinen rechtlichen Bedenken, dass der Antragsgegner das Vorhandensein einer Schnittstelle zu SORMAS zum Muss-Kriterium erhoben habe.

Dem Auftraggeber stehe das Bestimmungsrecht zu, ob und welchen Gegenstand er beschaffen wolle. Solange er dabei die Grenzen beachte und nicht offen oder versteckt ein bestimmtes Produkt bevorzuge und andere Anbieter diskriminiere, sei er bei dieser Bestimmung im Grundsatz weitgehend frei. Er könne über die technischen und ästhetischen Anforderungen bestimmen. Das bedeute allerdings nicht, dass dieses Bestimmungsrecht grenzenlos sei; die Anforderung müsse vielmehr objektiv auftrags- und sachbezogen sein. Des Weiteren müsse die Begründung nachvollziehbar sein. Ob Anforderungen erforderlich oder zweckmäßig sind, sei demgegenüber ohne Belang.

Nach diesen Maßstäben halte sich die getroffene Leistungsbestimmung in den gesetzten Grenzen. Es sei nicht sachwidrig, eine weitgehende Automatisierung der Kontaktnachverfolgung anzustreben und hierzu eine Schnittstelle zu SORMAS zu fordern. Tatsächlich wären bereits bei Zuschlag sieben der acht Gesundheitsämter in Mecklenburg-Vorpommern an SORMAS angeschlossen, inzwischen seien dies alle.

Für die Zulässigkeit der Leistungsbestimmung sei ohne Belang, ob die bei Luca vorhandene SORMAS-Schnittstelle nun auch tatsächlich genutzt werde oder der Datentransfer – wie von der Antragstellerin behauptet – mittels Excel stattfände.

2. Muss-Kriterium zum Zeitpunkt der Vergabeentscheidung nicht erfüllt

Zunächst wies der Vergabesenat darauf hin, dass das Programm der Antragstellerin unbestritten über keine Schnittstelle zu SORMAS verfügt habe und deshalb nicht zuschlagsfähig sei.

Nach seiner Ansicht bedürfe es in diesem Zusammenhang keiner Entscheidung hinsichtlich des maßgeblichen Zeitpunkts für die Zuschlagsfähigkeit. Selbst wenn nicht der Zeitpunkt der Vergabeentscheidung maßgeblich sein sollte, sondern der Jetzt-Zeitpunkt, ergäbe sich keine Abweichung, weil eine Schnittstelle zu SORMAS unstreitig auch weiterhin nicht geschaffen worden sei.

Abgesehen davon gehe der Senat letztlich davon aus, dass es auf den Zeitpunkt der Vergabeentscheidung ankomme. Denn nur hier könne aus dem Blickwinkel der Antragstellerin die im Fokus stehende Frage nach dem Vorliegen der Voraussetzungen einer so genannten Notvergabe (§ 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV) sinnvoll für den „unverrückbaren“ Zeitpunkt der Vergabeentscheidung beantwortet werden.

Insoweit komme es letztlich nicht darauf an, ob die Antragstellerin die Schnittstelle binnen zwei Stunden implementieren könne. Das vom Antragsgegner definierte Anforderungsprofil habe die Anbindung an SORMAS erkennbar als eine wesentliche – durchaus zentrale – Eigenschaft der einzukaufenden Software vorgesehen. Unabhängig von dem zeitlichen bzw. entwicklungstechnischen Aufwand für die Schaffung dieser Voraussetzung könne aus Sicht des Senats schon wegen der maßgeblichen funktionalen Bedeutung dieses Aspekts für den Auftragsgegenstand nicht von einer bloß geringfügigen Änderung die Rede sein.

Ganz abgesehen davon könne letztlich auch nicht abschließend bzw. belastbar eingeschätzt werden, ob es tatsächlich bei den von der Antragstellerin in den Raum gestellten (etwa) zwei Stunden geblieben wäre respektive bliebe und mit welchem Erfolg eine sich auch nach den eigenen Ausführungen der Antragstellerin anschließende Testphase verliefe. Letztlich bleibe das spekulativ. Der Senat ist vor diesem Hintergrund der Auffassung, dass der Antragsgegner Zweifel hegen und unter Berücksichtigung der Wertung, dass ein fertiges Produkt beschafft werden sollte, von einer Inbetrachtziehung des Produkts der Antragstellerin absehen durfte.

3. Chance nicht genutzt

Der Vergabesenat wies abschließend darauf hin, dass ein Bieter im Sinne einer Obliegenheit nicht gehalten sei, im laufenden Nachprüfungsverfahren zur „Nachbesserung“ seines Produkts Investitionen zu tätigen. Denn im Nachprüfungsverfahren stünde nicht einmal fest, ob überhaupt eine (erneute) Beschaffung erfolge. Man werde also insbesondere aus dem Umstand, dass das Produkt tatsächlich nicht „nachgebessert“ wurde, regelmäßig nicht schließen können, dass das Produkt nicht „verbesserbar“ sei.

Allerdings sei der Umstand, dass der angeblich nur geringfügige Aufwand zur Ergänzung der Software um die SORMAS-Schnittstelle nicht getätigt wurde auch nicht unbeachtlich. Denn die Antragstellerin habe damit die naheliegende Chance ungenutzt gelassen, den von Antragsgegnerseite eingewandten Zweifeln an der kurzfristigen Ergänzbarkeit um die verlangte Schnittstelle durch eine tatsächliche Ergänzung den Boden zu entziehen. Für den Senat jedenfalls seien solche Zweifel damit nicht widerlegt.

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III. Hinweise für die Praxis

Der Vergabesenat hat keine Zweifel daran gelassen, dass es bei der Frage der Bezuschlagbarkeit allein darauf ankommt, ob der Leistungsgegenstand zum Zeitpunkt der Vergabeentscheidung die vergaberechtskonform aufgestellten Anforderungen der Vergabestelle erfüllt.

Bei dem hier zu entscheidenden Sachverhalt traten die Konsequenzen sehr deutlich zu Tage: letztlich wurde die Zuschlagbarkeit der Lösung der Antragstellerin verneint, weil der Aufwand zur Programmierung der Schnittstelle von angeblich nur zwei Stunden (noch) nicht erbracht wurde.

Bei allem Verständnis für die Eilbedürftigkeit der Beschaffung im Kontext der Pandemie sollte aber auch nicht übersehen werden, dass die Einschränkung des Wettbewerbs durch Direktvergaben eine der einschneidendsten Maßnahmen ist. Vertretbar wäre es wohl auch gewesen, ein kurze Angebotsfrist einzuräumen. Dann hätte sich gezeigt, ob die Schnittstelle in zwei Stunden realisierbar gewesen wäre.

Übrigens wurde im Bereich der VSVgV mit der letzten Novelle eine Klarstellung in § 12 Abs. 1 Nr. 1 lit. c eingefügt. Demnach ist ein Verhandlungsverfahren ohne vorgeschalteten Teilnahmewettbewerb ausnahmsweise zulässig,

wenn zum Zeitpunkt der Aufforderung zur Abgabe von Angeboten der Auftrag wegen seiner technischen Besonderheiten oder aufgrund des Schutzes von Ausschließlichkeitsrechten wie zum Beispiel des Patent- oder Urheberrechts nur von einem bestimmten Unternehmen durchgeführt werden kann.

Auch hier ist keine Frist vorgesehen, die es etwaigen Konkurrenten erlauben würde, etwaige technische Besonderheiten oder Herausforderungen zu lösen.

Titelbild: Daria Nepriakhina – Unsplash