Aufklärung von Angebotsinhalten Streit ist oft vorprogrammiert

Der Aufklärung des Angebotsinhalts kommt eine entscheidende Bedeutung zu. Wie hoch die Anforderungen an eine vergaberechtskonforme Aufklärung sind, zeigt ein Beschluss der Vergabekammer Südbayern, der zudem datenschutzrechtliche Fragen in den Blick nimmt.

Der Autor

Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.

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Fast jede Vergabestelle kennt das Problem: Bei einem Angebot stellt sich die Frage, ob tatsächlich die ausgeschriebene Leistung angeboten wird, oder ob es sich um eine Abweichung handelt, die zum Ausschluss dieses Angebotes führt. Oftmals müssen der Angebotsinhalt und dessen Ausschreibungskonformität erst im Rahmen einer Aufklärung bewertet werden. Diese dient dann gegebenenfalls als Begründung für die entsprechende Ausschlussentscheidung. Im Regelfall gehen die Bieter davon aus, dass Ihr Angebot den ausgeschriebenen Vorgaben entspricht. Damit ist der Streit vorprogrammiert.

Insoweit kommt der Aufklärung des Angebotsinhalts eine entscheidende Bedeutung zu. Die Vergabekammer Südbayern hat in einem jüngeren Beschluss (vom 28.02.2023, 3194 . Z 3 – 3 _ 01 – 22 – 42) Grundsätze zur Aufklärung des Angebotsinhaltes aufgestellt.

I. Der Sachverhalt

Die Vergabestelle schrieb einen Auftrag über die Entwicklung, Herstellung, Lieferung, Montage, Installation und Inbetriebnahme eines Telefonnotarztsystems (TNA-Systems) im Wege eines offenen Verfahrens aus.

Laut der Vergabeunterlagen musste der Ort der DSGVO-konformen Leistungserbringung ausschließlich in der Bundesrepublik Deutschland, einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum liegen.

Das Angebot der Antragstellerin sah vor, dass die TNA-Cloud in Deutschland betrieben und komplett in Deutschland gehostet werden würde. Nach ihrem Datenschutzkonzept sollten ruhende Daten sowie Datenübertragungen innerhalb und außerhalb der Cloud grundsätzlich verschlüsselt werden, wobei auch immer ein kundenseitiger Schlüssel verwendet würde.

Im weiteren Verlauf bekam die Antragstellerin Zweifel, ob dieses Konzept einen hinreichenden Datenschutz gewährleiste. Im Rahmen der Angebotsaufklärung entspann sich eine sehr IT-technisch geprägte Erörterung der Verschlüsselungstechnologie zwischen Vergabestelle und Antragsgegnerin.

In deren Verlauf bat die Vergabestelle den Bayerischen Landesbeauftragten für den Datenschutz unter anderem um eine Einschätzung zur Datenschutzkonformität der Lösung. Als Beurteilungsgrundlage fasste sie den Sachverhalt kurz auf lediglich einer Seite Text zusammen. Die ausführlichen Entgegnungen der Antragstellerin und andere Unterlagen wurden nicht mitgesendet.

Vor diesem Hintergrund bestätigte der Bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz, dass er den technischen Schutz nicht für ausreichend halte, um Datenzugriffe im Rahmen von drittstaatlichen Auskunftsbegehren zu verhindern. Auf die spezielle Verschlüsselungstechnologie wurde nicht eingegangen.

Mit Informationsschreiben gemäß § 134 GWB setzte die Vergabestelle die Antragstellerin davon in Kenntnis, dass ihr Angebot ausgeschlossen werde, da der angebotene Cloud-Betrieb nicht den Anforderungen der DSGVO entspräche. Hiergegen wandte sich die Antragstellerin mit einem Nachprüfungsantrag.

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II. Exkurs: § 44 DSGVO

§ 44 DSGVO lautet:

„Jedwede Übermittlung personenbezogener Daten, die bereits verarbeitet werden oder nach ihrer Übermittlung an ein Drittland oder eine internationale Organisation verarbeitet werden sollen, ist nur zulässig, wenn der Verantwortliche und der Auftragsverarbeiter die in diesem Kapitel niedergelegten Bedingungen einhalten und auch die sonstigen Bestimmungen dieser Verordnung eingehalten werden; dies gilt auch für die etwaige Weiterübermittlung personenbezogener Daten aus dem betreffenden Drittland oder der betreffenden internationalen Organisation an ein anderes Drittland oder eine andere internationale Organisation. Alle Bestimmungen dieses Kapitels sind anzuwenden, um sicherzustellen, dass das durch diese Verordnung gewährleistete Schutzniveau für natürliche Personen nicht untergraben wird.“

III. Der Beschluss

Die Vergabekammer hält den zulässigen Nachprüfungsantrag auch für begründet und den Ausschluss des Angebotes damit für vergaberechtswidrig.

Die Vergabestelle könne derzeit nicht nachweisen, dass die Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV vorliegen. Sie habe auf Grundlage einer unzureichenden Prüfung der von der Antragstellerin angebotenen technischen Maßnahmen angenommen, dass das Angebot der Antragstellerin gegen die Art. 44 ff. DSGVO und damit die Vorgaben der Leistungsbeschreibung verstoße.

1. Allgemein: Zur Prüfpflicht

Zunächst führt die Vergabekammer allgemein zu der Prüfpflicht von Angeboten aus: Gem. § 56 Abs. 1 VgV seien Angebote auf Vollständigkeit sowie fachliche und rechnerische Richtigkeit zu prüfen. Die fachliche Richtigkeitsprüfung der Angebote beziehe sich auf den fachlichen Inhalt der von den Bietern eingereichten Unterlagen und umfasse regelmäßig die Prüfung, ob die angebotene Leistung den Anforderungen der Ausschreibung, insbesondere der Leistungsbeschreibung und den technischen Spezifikationen entspreche.

Ein öffentlicher Auftraggeber sei zwar grundsätzlich nicht verpflichtet zu überprüfen, ob die Bieter ihre mit dem Angebot verbindlich eingegangenen vertraglichen Verpflichtungen auch einhalten werden; vielmehr dürfe er sich grundsätzlich auch ohne Überprüfung auf die Leistungsversprechen der Bieter verlassen. Entscheide sich ein öffentlicher Auftraggeber jedoch dafür, das Leistungsversprechen des Bieters zu überprüfen, müsse der öffentliche Auftraggeber aus Gründen der Transparenz und der Gleichbehandlung der Bieter bereit und in der Lage sein, das Leistungsversprechen des Bieters effektiv zu verifizieren.

2. Allgemein: Zum Überprüfungsmittel

Zunächst betont die Vergabekammer, dass der öffentliche Auftraggeber in der Wahl seiner Überprüfungsmittel grundsätzlich frei sei. Er sei im Interesse einer zügigen Umsetzung der Beschaffungsabsicht und eines raschen Abschlusses des Vergabeverfahrens und aufgrund seiner begrenzten Ressourcen und administrativen Möglichkeiten nicht auf eine bestimmte Methode oder auf bestimmte Mittel der fachlichen Prüfung festgelegt.

Die vorgenannten Maßstäbe würden gleichermaßen für die zu fordernde Prüfungstiefe gelten; auch in Fällen, in denen die Prüfung, ob ein Angebot den Anforderungen der Vergabeunterlagen entspricht und ob die angebotenen Konzepte umsetzbar sind, die Beurteilung einer Vielzahl komplexer technischer Fragen erfordere. Das vom Auftraggeber gewählte Mittel zur Überprüfung müsse jedoch geeignet und die Mittelauswahl frei von sachwidrigen Erwägungen getroffen worden sein.

3. Auf den Fall bezogen

Zu Beginn der Prüfung stellt die Vergabekammer fest, dass hinsichtlich der von der Vergabestelle herangezogenen Erkenntnisquellen (IT-Beschaffungsdienstleister, dessen externe Datenschutzbeauftragten, das zuständige Sachgebiet für Datenschutz im Bayerischen Staatsministerium des Inneren, der Bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz und die zum Entscheidungszeitpunkt verfügbare einschlägige Rechtsprechung) für die Beurteilung der fachlichen und datenschutzrechtlichen Richtigkeit keine grundlegenden Bedenken bestünden.

Die von der Vergabestelle getroffene Auswahl der Überprüfungsmöglichkeiten sei wohl grundsätzlich geeignet gewesen, die fachliche Richtigkeit des Angebots der Antragstellerin und eine Übereinstimmung mit den Vorgaben der Vergabeunterlagen zu beurteilen.

Allerdings habe sich die Vergabestelle nicht ausreichend mit der von der Antragstellerin angebotenen Verschlüsselungsmethode als technische Maßnahme befasst.

So wurde in einer internen E-Mail der Vergabestelle sogar die Ansicht geäußert, dass auf Grund der Verschlüsselung insbesondere auf Grund der Verwendung eines Kundenschlüssels durchaus die Möglichkeit bestehe, den verschlüsselten Daten den Personenbezug abzusprechen und dass daher das Angebot der Antragstellerin in dieser Hinsicht weiter aufgeklärt werden müsse.

An einer konkreten Aufklärung habe es vorliegend aber gemangelt. Dabei betont die Vergabekammer, dass der öffentliche Auftraggeber im Rahmen der Angebotsaufklärung eine eindeutig formulierte Anforderung zu richten habe, mit der er die Erläuterung bestimmter unklarer Punkte im Angebot verlange.

Die Vergabestelle habe es dabei bereits versäumt, ihre Fragen hinsichtlich der von der Antragstellerin eingesetzten Verschlüsselungsmethode ordnungsgemäß aufzuklären. Der auf eine Seite zusammengefasste Sachverhalt sei keine taugliche Grundlage für die Beurteilung durch den Datenschutzbeauftragten. Insbesondere sei auf Grund der völlig fehlenden Dokumentation der getroffenen Entscheidung auch nicht ersichtlich, dass die Vergabestelle alle ihr vorliegenden Erkenntnisse in ihre Entscheidungsfindung einbezogen hat.

Die der Vergabekammer vorliegende Dokumentation deute vielmehr darauf hin, dass die Entscheidung sich wesentlich auf die Einschätzung des Bayerischen Landesbeauftragten für Datenschutz stützt, welche sich aber mit der Thematik der Verschlüsselung überhaupt nicht befasst habe, weil dieser Aspekt schon bei der Anfrage an den Datenschutzbeauftragten nicht berücksichtigt wurde.

4. Verstoß gegen das Dokumentationsgebot

In der mündlichen Verhandlung verweist die Vergabestelle darauf, dass sie sich nicht ausschließlich auf die Beurteilung des Datenschutzbeauftragten verlassen habe. Vielmehr hätte sie sich umfassend und tiefgreifend mit allen ermittelten Erkenntnissen auseinandergesetzt und in einer großen Runde mit allen Fachstellen diskutiert und abgewogen.

Diesbezüglich bemängelt die Vergabekammer, dass eine hinreichende Dokumentation hierzu nicht vorhanden sei. Eine derartige Dokumentation wäre aber nach § 8 Abs. 1 Satz 1 und 2 VgV zwingend nötig gewesen, da es sich hierbei um die Dokumentation einer internen Beratung über die Gründe für die Auswahlentscheidung und die Zuschlagserteilung gehandelt habe. Die Dokumentation müsse alle Informationen enthalten, die notwendig seien, um die Entscheidungen des öffentlichen Auftraggebers nachvollziehen zu können. Hierfür müsse ein öffentlicher Auftraggeber seine für die Zuschlagserteilung maßgeblichen Erwägungen in allen Schritten so eingehend dokumentieren, dass nachvollziehbar sei,

  • ob der öffentliche Auftraggeber den Sachverhalt umfassend ermittelt hat,
  • welche Aspekte er letztlich bei seiner Entscheidung berücksichtigt hat,
  • welches Gewicht er ihnen zugemessen hat und
  • was seine tragenden Argumente für die Entscheidung waren.

Diese vom BGH im Beschluss vom 04.04.2017 (Az.: X ZB 3/17) für die Dokumentation der Wertungsentscheidung entwickelten Grundsätze seien auch auf andere dokumentationspflichtige Entscheidungen des öffentlichen Auftraggebers anwendbar.

IV. Hinweise zur Praxis

Gerade bei technisch komplexen Beschaffungsvorhaben kann es schwierig sein, zu beurteilen, ob die angebotene Lösung auch tatsächlich den in den Vergabeunterlagen vorgegebenen Leistungsparametern entspricht. Wie der vorstehend wiedergegebene Beschluss zeigt, sind die Anforderungen an eine vergaberechtskonforme Aufklärung sowie deren Dokumentation durchaus hoch. Unter dem Strich ist dies sachlich auch gerechtfertigt, da letztlich der Beschaffungserfolg hiervon abhängt.

Grundsätzlich kann sich der Auftraggeber bei der Überprüfung der fachlichen Richtigkeit eines Angebotes des Sachverstandes von Dritten bedienen. In diesem Fall besteht die Verpflichtung, diesen die für die Überprüfung relevanten Umstände und Punkte umfassend mitzuteilen und die Antwort daraufhin zu überprüfen, ob auch alle essentiellen Fragen und Punkte gewürdigt wurden.

Entscheidet sich ein öffentlicher Auftraggeber dafür, einen Bieter auszuschließen, so hat er zu dokumentieren, welche Aspekte er bei dieser Entscheidung berücksichtigt hat, welches Gewicht er ihnen zugemessen hat und was die tragenden Argumente für diese Entscheidung waren. Je komplexer die Prüfung des Ausschlussgrunds war, desto höhere Anforderungen werden auch an die Dokumentation der Entscheidung gestellt.

Titelbild: Van Tay Media – Unsplash