Fünf Fachexperten lieferten kompaktes Vergabewissen auf dem E-Vergabe-Tag 2022
V.l.n.r.: Ralf Sand, Carsten Eschenröder, Johanna Reinker, Andreas Belke, Dr. Alexander Fandrey, Norbert Dippel, Daniel Förster

Mehr als 420 Teilnehmerinnen und Teilnehmer verzeichnete der 15. Nordrhein-westfälische E-Vergabe-Tag, der am 18. August als digitale Veranstaltung in Bochum durchgeführt wurde. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Vergabestellen der Kommunal- und Landesverwaltung erhielten einmal mehr einen rechtlich wie technisch umfassenden Überblick zur E-Vergabe in Nordrhein-Westfalen.

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Ralf Sand: Politische Zielsetzungen im Bundesland

Nach der Eröffnung der Fachveranstaltung und Begrüßung durch Johanna Reinker von der d-NRW AöR erläuterte Ralf Sand vom Ministerium der Finanzen des Landes Nordrhein-Westfalen unter der Überschrift „politische Beschleunigungseffekte“ die vergaberechtlichen Zielsetzungen der noch jungen schwarz-grünen Koalition in Nordrhein-Westfalen.

Stärkung von vergabe.NRW

Besonderen Fokus richtete er auf die Zielsetzung, vergabe.NRW als zentrales, digitales Portal für das gesamte Beschaffungswesen zu etablieren. Das heiße nicht weniger, so Sand, als den kompletten Beschaffungsworkflow vom Beschaffungsantrag bis zur Bezahlbarmachung digital auf dem Portal abzubilden.

Beschaffung von Innovation: Strategiepapier beauftragt

Mit Blick auf die strategischen Ziele des Landes Nordrhein-Westfalen erläuterte Sand auch einen Beschluss der „alten“ Landesregierung vom 8. März 2022, der aber unverändert gelte. Mit diesem wurde ein Strategiepapier beauftragt, das die Frage untersucht, wie Innovation in Beschaffungs- und Vergabeverfahren eine stärkere Berücksichtigung finden kann – auch, um das Potenzial von Start-ups für die Öffentliche Beschaffung endlich zu heben. Einblicke in das Papier hatten Prof. Dr. Meyer-Falcke und Carsten Klipstein bereits auf dem Vergabesymposium im Mai gegeben.

Datenschatz aus vergabe.NRW nutzen

Überdies wurde die Universität der Bundeswehr in München beauftragt, den umfangreichen Datenbestand aus vergabe.NRW darauf zu untersuchen, was wie in Nordrhein-Westfalen eingekauft wird und wo gegebenenfalls Produkte zusammengefasst werden könnten. Einfließen könnten die Ergebnisse auch in die Diskussion zur Zukunft des nationalen Vergaberechts und die Beantwortung der Frage, ob die beabsichtigten Beschleunigungseffekte durch Fristverkürzungen in den Krisen der vergangenen Jahre eigentlich die gewünschte Wirkung erzielt haben.

Dr. Alexander Fandrey: Juristische Einblicke in den Beschaffungsalltag

Dr. Alexander Fandrey, Kapellmann Rechtsanwälte, stellte in seinem anschließenden Vortrag einige (un-)veröffentlichte Beschlüsse und Entwicklungen rund um die elektronische Abwicklung von Vergabeverfahren mitten aus dem Beschaffungsalltag vor.

Unterschiedliche Preisangaben: Was ist maßgeblich?

So komme es vor, dass Bieter unterschiedliche Preisangaben – etwa Nachlässe – über das Bietertool einerseits und das Angebotsschreiben andererseits abgeben. Die VK Bund (Beschluss vom 07.07.2021 – VK 2-65/21) und die VK Rheinland (27.08.2021 – VK 28/21-B) haben indes klargestellt, dass nach den Bewerbungsbedingungen allein die Angabe im Angebotsvordruck maßgeblich sei – und nicht die Angaben in einer Online-Plattform.

Doppelte Angebotsabgabe

Widersprüchliche Entscheidungen zweier Spruchkörper schilderte Dr. Fandrey für den Fall einer doppelten Angebotsabgabe. Mitunter nutzten Bieter die Kommunikationsfunktion einer E-Vergabeplattform für die Angebotsabgabe, die so in der Regel jedoch nicht wertungsfähig sei.

Geht dann nach entsprechendem Hinweis noch rechtzeitig ein reguläres Angebot ein, so sei dies aus Sicht des OLG Karlsruhe (17.03.2017 – 15 Verg 2/17) zwingend auszuschließen. Das OLG Frankfurt vertrat hingegen die Auffassung, ein ordnungsgemäß eingereichtes Angebot sei nicht allein deshalb vom Verfahren auszuschließen, weil es zuvor formwidrig an die Vergabestelle vermittelt wurde (18.02.2020 – 11 Verg 7/19).

Angebotsöffnung durch Externe

Einen Fall, bei dem eine Vergabekammer ihre vorherige Rechtsprechung revidierte, stellte Dr. Fandrey abschließend vor. Mit Blick auf die Angebotsöffnung durch Externe vertrat die VK Südbayern die Auffassung, eine Öffnung müsse durch Mitarbeitende des Auftraggebers erfolgen und könne nicht auf Externe delegiert werden (02.01.2018 – Z3-3-3194-1-47-08/17).

Vier Jahre später wurde diese Auffassung durch die VK revidiert: Aufgrund der umfassenden elektronischen Protokollierung sei die Gefahr von Manipulationen verschwindend gering (16.05.2022 – 3194.Z3-3_01-21-62).

Andreas Belke: Vorbildliche Beschaffung und E-Vergabe

Einen praxisnahen und spannenden Best-Practice-Beitrag zu elektronischen Abläufen im Beschaffungswesen bot Andreas Belke vom Bau- und Liegenschaftsbetrieb im Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL-BLB), der rund 600 VOB- und HOAI-Vergaben pro Jahr durchführt, etwa 25 % davon oberschwellig.

Effektiv dank VMS

Nicht zuletzt dank des cosinex Vergabemanagementsystems arbeite der LWL-BLB inzwischen deutlich effektiver – nämlich papierlos, normgerecht, vereinheitlicht sowie teamfähig. Mit Spannung blickt Belke zudem auf das Wegfallen von Excelvorlagen bei der Bewertung von Teilnahmewettbewerben mit dem VMS 10. Eine erste entsprechende Vergabe sei jüngst gestartet.

Mehr als 600 Teilnehmerinnen und Teilnehmer nahmen am 15. nordrhein-westfälischen E-Vergabe-Tag teil
Daniel Förster (rechts) führte durch die Veranstaltung und richtete eine Auswahl an Zuschauerfragen an die Referenten, hier: Andreas Belke.

Optimale Bieterkommunikation

Besonderes Augenmerk legte Belke auf die Kommunikation sowohl zwischen Fachbereich und Vergabestelle, als auch zwischen letzterer und Bietern. Für Bieterfragen gelte etwa die Regel „kein Telefon, kein E-Mail, kein Fax, alles zwingend über VMP und VMS“. So könnten auch Fachfragen durch die Fachabteilung über die Textvorlagenfunktion des VMS geklärt werden, was die vergaberechtliche Qualitätssicherung der Antworten sichere.

Carsten Eschenröder: Aktuelles aus der cosinex Welt

Der Entwicklungsleiter der cosinex, Carsten Eschenröder, bot den bewährten Überblick der jüngsten Entwicklungen bei den Modulen von vergabe.NRW – gefolgt von einem Ausblick auf die Entwicklungsagenda der nächsten Monate bei cosinex.

Kollaborative Beschaffung mit dem Einkaufskatalog

So sei das Modul Einkaufskatalog um die Unterstützung kollaborativer Beschaffung ergänzt worden, sodass öffentliche Listen nun gemeinsam erstellt werden können. Zudem sei die technische Basistechnologie einem deutlich umfangreicheren Update unterzogen worden als in den Vorjahren.

Vergabemanagementsystem 10

Fokus des Vortrags war die neue Version des Vergabemanagementsystems, VMS 10, die wir im cosinex Blog bereits umfassend vorgestellt haben. Eschenröder ging auf die neue Team-Board-Funktion, das Modul Kriterienkatalog und diverse weitere Neuerungen ein.

Vergabemarktplatz: Qualifizierungssysteme und Benutzergruppen

Hinsichtlich des Vergabemarktplatzes erläuterte Carsten Eschenröder neben der Überarbeitung des Kommunikationsbereichs und neuen Funktionen im Kontext der Qualifizierungssysteme nach § 48 SektVO auch die komplett überarbeitete Steuerungsmöglichkeit für Benutzergruppen: Hier sei nunmehr die Sichtbarkeit auf fremde Nutzergruppen und Nutzer innerhalb des Mandanten ebenso wie die Veränderbarkeit der Zuordnung eines Projektes zu einer Benutzergruppe konfigurierbar.

Was ansteht

In seinem Ausblick auf die in der Entwicklung befindlichen Neuerungen ging Eschenröder auf die EU eForms ebenso wie die NRW eForms ein, die einen Schritt weiter gehen als das EU-Pendant: Mit ihnen sollen bestimmte Formulare abgelöst und rein elektronisch abgebildet werden – bei möglichst großer Flexibilität und Nutzerfreundlichkeit.

Norbert Dippel: Es kommt auf die Sekunde an

Norbert Dippel, Justiziar der cosinex GmbH und Autor des cosinex Blog, nahm in seinem abschließenden Vortrag einen jüngeren Beschluss der VK Südbayern (15.11.2021, 3194. Z3-3-01-21-20) zum Zugang der Angebotsunterlagen unter die Lupe.

Bei dem Fall, den Dippel auch im cosinex Blog besprochen hatte, wurde die Angebotsabgabe des wirtschaftlichsten Angebots in der zum Einsatz kommenden Vergabeplattform um 10:00:03 Uhr verzeichnet, und war deshalb laut Submissionsprotokoll verspätet eingegangen. Das Angebot wurde ausgeschlossen.

Die VK Südbayern hielt den anschließenden Nachprüfungsantrag der ausgeschlossenen Bieterin für begründet. Der vollständige Upload sei vor Ablauf der Angebotsfrist erfolgt. Lediglich das notwendige Ablegen des verschlüsselten Angebots auf dem Vergabesystem habe zum Überschreiten der Angebotsfrist geführt. Bieter trügen das Übertragungsrisiko hingegen lediglich bis zum vollständigen Upload und der Verschlüsselung.

Dippel ging abschließend auf den Prozess der Angebotsabgabe bei cosinex-Lösungen ein, bei dem die hier vorliegende Konstellation nicht habe eintreten können. Die Details können dem Fachbeitrag zum entsprechenden Beschluss unter der Überschrift Exkurs in eigener Sache entnommen werden.

E-Vergabe-Tag 2023: Wenn möglich wieder in Präsenz

2023 soll der E-Vergabe-Tag als hybride Veranstaltung stattfinden
Souverän digital – und in Zukunft (auch) wieder in Präsenz: Der nordrhein-westfälische E-Vergabe-Tag

Bereits zum dritten Mal fand der nordrhein-westfälische E-Vergabe-Tag als digitale Veranstaltung statt. Zwar hat sich das Format inzwischen auch in dieser Form etabliert und erfährt unverändert großen bzw. sogar wachsenden Zuspruch, aber alle Beteiligten waren sich einig, dass man im kommenden Jahr wieder in Präsenz zusammenkommen wolle, wenn die Umstände dies möglich machen. Eine zusätzliche digitale Teilnahme (hybrid) werde dabei angestrebt.

Ralf Sand vom Ministerium der Finanzen des Landes Nordrhein-Westfalen, das auch 2022 die Schirmherrschaft der Veranstaltung ausübte:

Der E-Vergabe-Tag ist seit Jahren so etwas wie eine Pflichtveranstaltung für Vergabestellen in Nordrhein-Westfalen, das zeigt auch der hohe und wachsende Zuspruch. Ich freue mich darauf, dass wir im nächsten Jahr hoffentlich wieder in Präsenz tagen.