Die Textform wird in den verschiedenen Vergaberegimen an unterschiedlichen Stellen vorgeschrieben.

Unlängst haben wir in diesem Blog über eine Entscheidung des BGH berichtet, wonach in besonderen Konstellationen die Übermittlung von AGB der Bieter im Rahmen der Angebotsabgabe nicht zwingend zum Ausschluss führt.

Nunmehr hat das OLG Düsseldorf in einem Beschluss (12.02.2020, Verg 24 / 19) darauf hingewiesen, dass diese besondere Konstellation, die der BGH zu entscheiden hatte, nicht übertragbar auf abändernde Bieter-Klauseln ist, die keine AGB im Rechtssinne sind.

Darüber hinaus hat der Vergabesenat die Voraussetzungen für das Vorliegen einer ordnungsgemäßen Rüge prägnant und praxistauglich dargestellt und ist auf die besondere Konstellation einer Rüge zum Ende der Angebotsfrist eingegangen.

I. Der Sachverhalt

Die Vergabestelle schrieb einen Bauauftrag EU-weit aus. Zu den Vergabeunterlagen gehörten neben der Leistungsbeschreibung und den Besonderen Vertragsbedingungen auch die Zusätzlichen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen nach der VOB/B (ZVB VOB/B). Nach Ziff. 10.3 ZVB war die Vergabestelle berechtigt, Zahlungen wegen Ansprüchen und Forderungen zurückzuhalten oder aufzurechnen, die ihr aus anderen Rechtsgeschäften mit dem Auftragnehmer oder aus sonstigen Gründen gegen den Auftragnehmer zustehen.

In der Verhandlungsphase wandte sich eine Bieterin, die laufende Alt-Projekte mit dem Auftraggeber hatte, mehrfach gegen die vorbenannte Aufrechnungsklausel, zum Teil per E-Mail.

Im weiteren Verlauf änderte die Vergabestelle die Klausel in Ziff. 10.3 ZVB nicht. Die Bieterin änderte daraufhin ihrerseits in dem letztverbindlichen Angebot die Klausel im Rahmen einer „Klarstellung“ ab. Darüber hinaus wandte sie sich in dem Begleitschreiben zum Angebot nochmals inhaltlich gegen die Klausel, was im späteren Verfahrensverlauf von der Bieterin als Rüge bezeichnet wurde. Das Angebot wurde von der Vergabestelle daraufhin wegen Änderungen an den Vergabeunterlagen gemäß § 16 Abs. 2 i.V.m. § 13 Abs. 1 Nr. 5 VOB/A EU ausgeschlossen.

Nach erfolgloser erneuter Rüge und Nachprüfungsantrag legte die Bieterin sofortige Beschwerde beim OLG Düsseldorf ein.

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II. Die Entscheidung

Die sofortige Beschwerde war für die Bieterin ebenfalls erfolglos.

III. Zur Zulässigkeit

Der Vergabesenat stellte zunächst klar, dass es in Bezug auf die Klausel in Ziff. 10.3 ZVB an einer rechtzeitigen Rüge fehle.

Der geltend gemachte Verstoß sei nicht bis zum Ablauf der Frist zur Abgabe eines finalen Angebots gerügt worden. Der Nachweis einer rechtzeitigen Rüge obliege der Antragstellerin.

An den Inhalt einer ordnungsgemäßen Rüge seien keine allzu strengen Anforderungen zu stellen. Sie setze inhaltlich eine konkrete und deutliche vergaberechtliche Beanstandung voraus, sodass der öffentliche Auftraggeber erkennen könne, um welchen konkreten Verstoß es sich handele, und dass von ihm die Beseitigung dieses Vergaberechtsfehlers verlangt werde. Allgemeine Fragen und Hinweise, Kritik oder Unverständnis stellten genauso wenig eine ausreichende Rüge dar. Gleiches gelte für die Ankündigung, man werde das nicht hinnehmen. Zudem müsse deutlich werden, dass das Unternehmen nicht nur eine Anregung zur Optimierung des Vergabeverfahrens geben wolle, sondern ein vom Auftraggeber zu beseitigender Rechtsfehler geltend macht werde. Entscheidend sei, dass der Bieter objektiv gegenüber dem Auftraggeber deutlich mache, in welchem Punkt und aus welchem Grund er das Vorgehen des Auftraggebers für fehlerhaft hält und dass er eine Korrektur des Fehlers in seinem Sinne erreichen will. Er muss seinen Standpunkt nicht in allen Einzelheiten juristisch begründen; es genügt, dass seinem Vorbringen eine konkrete vergaberechtliche Beanstandung zu entnehmen sei.

Mit Blick auf die Ausführungen der Bieterin zur Klausel fehle es an einer Rüge.

Ausweislich der Vergabeakte sei eine Abänderung der Klausel als „Bieterwunsch“ oder als „Wunsch der Antragstellerin“ in der Verhandlungsphase formuliert worden. Auch habe es Hinweise auf eine vermeintliche Benachteiligung gegeben, der aber die erforderliche Substanz gefehlt hätten. Das Vorbringen einer Rüge müsse beinhalten, welchen genauen Erklärungsinhalt ein behaupteter Hinweis hatte, also wer wem gegenüber was gesagt habe. Daran fehle es in dem zu entscheidenden Fall, sodass nicht nachvollzogen werden könne, ob der behauptete „Hinweis“ nach dem maßgeblichen Empfängerhorizont als Beanstandung eines Vergaberechtsfehlers verbunden mit der Aufforderung zur Beseitigung zu verstehen gewesen sei. Auch die im Nachgang der Verhandlung übersandten ergänzenden kaufmännischen Bedingungen, die „mit der Bitte um Berücksichtigung“ zugesandt wurden, seien keine Rüge. Aus der folgenden Formulierung ergäbe sich weder, dass die Bieterin einen Vergabeverstoß sieht, noch fordert sie die Vergabestelle auf, diesen zu beseitigen:

„Mit einer derartigen Regelung können wir uns nicht einverstanden erklären. Eine solche Regelung würde eine positive projekt- bzw. vertragsbezogene Risikobeurteilung für uns erschweren, wenn nicht gar unmöglich machen.“

Enthalte aber schon der Vortrag der Bieterin keine belastbaren Anhaltspunkte für eine Rüge im Sinne von § 160 Abs. 3 GWB, komme darüber hinaus auch eine Beweisaufnahme durch Vernehmung des als Zeugen benannten Mitarbeiters der Bieterin nicht in Betracht.

Schließlich bedürfe es keiner Entscheidung, ob die Formulierungen der Antragstellerin in ihrem Angebotsbegleitschreiben die Anforderungen einer ordnungsgemäßen Rüge erfüllten. Denn die vermeintliche Rüge sei mit dem Angebot abgegeben worden. Dabei stellte der Vergabesenat darauf ab, dass das Angebot erst nach Ablauf der Angebotsfrist geöffnet worden sei. Selbst dann, wenn in dem Angebotsbegleitschreiben eine Rüge im Sinne von § 160 Abs. 2 GWB gesehen würde, sei diese jedenfalls nicht vor Ablauf der Angebotsfrist erhoben worden und damit präkludiert, denn das Angebot mit dem Rügeschreiben wurde erst nach Ablauf der Angebotsfrist geöffnet.

IV. Zu dem Ausschluss

Der Vergabesenat sah – wie auch schon die Vergabekammer – den Ausschluss gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 13 Abs. 1 Nr. 5 VOB/A EU wegen einer unzulässigen Änderung an den Vergabeunterlagen als rechtmäßig an.

Die Zusätzlichen Vertragsbedingungen gehörten unstrittig zu den Vertragsgrundlagen, die die Vergabestelle den Bietern zur Verfügung gestellt hat. Die Bieterin habe diese Regelung in ihrem Angebot abgeändert, indem die Aufrechnung auf bestimmte Konstellationen beschränkt hat.

Die von Ziff. 10.3. ZVB abweichende Regelung zur Aufrechnung sei auch nicht unbeachtlich. Zwar hat der Bundesgerichtshof in seiner eingangs zitierten Entscheidung eine Änderung der Vergabeunterlagen bei widersprechenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Bieters und des Auftraggebers im Fall einer sog. Abwehrklausel in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Auftraggebers, wonach etwaige (abweichende) Allgemeine Geschäftsbedingungen des Bieters nicht Vertragsbestandteil werden, verneint. Ferner habe er ausgeführt, dass auch ohne eine solche Abwehrklausel ein Angebot in der Wertung verbleiben könne, wenn die Verwendung der abweichenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Bieters erkennbar auf einem Missverständnis über die in dem Vergabeverfahren einseitige Maßgeblichkeit der vom Auftraggeber vorgegebenen Vergabe- und Vertragsbedingungen beruhe. Aber eine solche Konstellation liege hier nicht vor, obwohl in Ziff. 1.1 Satz 3 ZVB geregelt sei, dass alle abweichenden Bedingungen im Angebot des Auftragnehmers nur dann gälten, wenn sie von der Antragsgegnerin schriftlich anerkannt seien. Voraussetzung für die Anwendbarkeit von Ziff. 1.1 Satz 3 ZVB seien indes abweichende Bedingungen im Sinne von Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Bieters. Nach § 305 Abs. 1 S.1 BGB seien Allgemeine Geschäftsbedingungen alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei (Verwender) der anderen Vertragspartei bei Abschluss eines Vertrags stellt. Der für einen bestimmten Vertrag ausgearbeitete Text sei daher nicht von § 305 Abs. 1 S. 1 BGB erfasst. Der Formulierung im Angebotsbegleitschreiben vom 17.04.2019 sei zu entnehmen, dass es sich um eine individuelle Formulierung der Bieterin für den ausgeschriebenen Auftrag und nicht für eine Vielzahl von Verträgen handelt.

Insofern sei die Rechtsprechung nicht auf diesen Fall übertragbar.

V. Hinweise für die Praxis

Muss eine Rüge bis zum Ende der Angebotsfrist erhoben werden, darf sie nicht dem Angebot beigefügt werden, da dieses erst nach Fristablauf geöffnet wird und damit die Kenntnisnahme der Rüge zu spät erfolgt.

Will man sich auf die BGH-Entscheidung berufen, wonach die Verwendung von Bieter-AGB unter bestimmten Voraussetzungen nicht zum Angebotsausschluss führt, muss es sich tatsächlich um Bieter-AGB handeln. Individuell formulierte Abweichungen sind davon nicht erfasst.

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VI. Für den dogmatisch interessierten Leser

Die vom OLG Düsseldorf angeführte Entscheidung des BGH zum Angebotsausschluss wurde in der Fachwelt sehr kontrovers diskutiert. Anlässlich eines Aufsatzes des damals befassten Richters a.D. am BGH, Herrn Jochem Gröning in der NZBau 2020 S. 275 f. (Heft 5), haben wir für den juristischen Feinschmecker ein Blick auf die dort ausgeführten dogmatischen Grundüberlegungen geworfen, die der Entscheidung zu Grunde lagen.

Entgegen der ausdrücklichen Vorgaben des Ausschlusses nach § 16 Abs. 2 i.V.m. § 13 Abs. 1 Nr. 5 VOB/A EU entschied der BGH, dass ein Ausschluss bei einer versehentlichen Mitübersendung der AGB des Bieters nicht zulässig sei. Einer über den Wortsinn hinausgehenden Auslegung bzw. Rechtsfortbildung durch ein Gericht kommt durchaus ein gewisser Seltenheitswert zu.

Der BGH griff im konkreten Fall dogmatisch auf eine „teleologische Reduktion“ zurück. Dies bedeutet, dass die Rechtsfolge einer Norm nicht angewendet wird, obwohl deren tatbestandlichen Voraussetzungen formal erfüllt scheinen, weil für diesen speziellen Fall eine planwidrige Regelungslücke vorliegt. Mithin wird entgegen dem ausdrücklichen Wortsinn eine Norm nicht angewendet.

Vereinfacht übertragen: Obwohl der Bieter widersprechende AGB verwendet und dies eigentlich einen Ausschluss rechtfertigen würde, wird der Ausschluss nicht vollzogen, weil diesbezüglich die VOB/A den übergeordneten Willen des Gesetzgebers, die Anzahl der teilnehmenden Angebote nicht unnötig wegen an sich vermeidbarer und nicht gravierender Mängel zu reduzieren, nicht entsprechend umgesetzt hat.

Spannend bleibt, ob die daraus resultierende Signalwirkung auch auf andere Konstellationen ausstrahlt. Wer sich etwas tiefer in die Logik und die Gedankenführung des BGH einarbeiten möchte, dem sei ein Aufsatz von dem Richter a.D. am BGH, Herrn Jochem Gröning, in der NZBau Heft 5 2020 S. 275f. empfohlen.

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