Kleine Skulptur der Justitia

Nach einer Entscheidung des OLG München vom 13.03.2017 (Verg 15/16) schien klar: Auch im Teilnahmewettbewerb sind sämtliche Vergabeunterlagen zum Zeitpunkt der Auftragsbekanntmachung zur Verfügung zu stellen. Das OLG Düsseldorf hat in seinem Beschluss vom 17.10.2018 (Verg 26/18) nunmehr scheinbar eine andere Rechtsauffassung entwickelt: Welche Angaben zu den Vergabeunterlagen gehören, die den Unternehmen über einen Link in der Auftragsbekanntmachung zur Verfügung zu stellen sind, richte sich danach, ob die Angaben „erforderlich“ sind, um dem Bewerber oder Bieter eine Teilnahme an dem Vergabeverfahren zu ermöglichen. Das sei eine Entscheidung im Einzelfall, die u.a. davon abhängt, welche Verfahrensart der öffentliche Auftraggeber gewählt hat und welche Bedeutung die Angaben für die Entscheidung des Bewerbers oder Bieters haben, sich am Verfahren zu beteiligen.

Hieraus resultierte im konkreten Fall, dass der Auftraggeber im Teilnahmewettbewerb nicht verpflichtet werden konnte, den Bewerbern bereits mit der Auftragsbekanntmachung einen Vertragsentwurf zur Verfügung zu stellen.

Zum Sachverhalt

In dem konkreten Fall hatte die Vergabestelle bei einer Ausschreibung von Reinigungsleistungen im nicht offenen Verfahren in der Auftragsbekanntmachung einen Internet-Link für den Zugang zu den Vergabeunterlagen veröffentlicht. Zugleich wies sie darauf hin, dass die vollständigen Vergabeunterlagen nur den im Teilnahmewettbewerb zur Angebotsabgabe ausgewählten Bietern zur Verfügung gestellt würden. Über den Internet-Link stellte die Auftraggeberin zunächst nur das Anschreiben an die Bewerber sowie einen Vordruck für einen Teilnahmeantragbogen zum Download zur Verfügung.

Die spätere Antragstellerin rügte, dass entgegen § 41 Abs. 1 VgV in der Richtlinie 2014/24/EU nicht die vollständigen Vergabeunterlagen zur Verfügung gestellt worden seien. Aufgrund dessen könne sie die unternehmerische Entscheidung, einen Teilnahmeantrag zu stellen, nicht treffen.

Daraufhin stellte die Auftraggeberin die zu diesem Zeitpunkt vorhandene Leistungsbeschreibung und die für das weitere Vergabeverfahren vorgesehenen Bewerbungsbedingungen zum Download bereit und verlängerte die Frist zur Abgabe von Teilnahmeanträgen.

Die spätere Antragstellerin forderte die Vergabestelle hiernach auf, auch den vorgesehenen Vertragsentwurf zur Verfügung zu stellen, da die Leistungsbeschreibung nur im Zusammenhang damit zutreffend eingeordnet werden könne und dies kalkulationsrelevant sei.

Dem kam die Auftraggeberin nicht nach. Die Antragstellerin rügte diesen sowie weitere Umstände im Vergabeverfahren und strengte, nachdem die Vergabestelle dieser Rüge nicht abhalf, zwei Nachprüfungsverfahren an, die von der Vergabekammer gemeinsam verhandelt und entschieden wurden. Die Vergabekammer wies die Nachprüfungsanträge mit Beschluss vom 26.03.2018 zurück.

Hiergegen richtete sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin, mit der sie geltend machte, dass das Vorgehen der Vergabestelle gegen §§ 41 Abs. 1, 29 VgV verstoße, da diese nicht die vollständigen Vergabeunterlagen im Teilnahmewettbewerb zugänglich gemacht habe. So sei der Reinigungsvertrag insoweit unstreitig nicht zur Verfügung gestellt worden. Nach der Leistungsbeschreibung sei unklar, ob die Reinigungsleistungen leistungs- oder ergebnisorientiert beschrieben seien. Dies stelle auch einen Verstoß gegen das Gebot der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung gem. § 121 Abs. 1 GWB dar.

Keinen Beitrag mehr verpassen? Jetzt für unseren Newsletter anmelden und Themen auswählen

Ihre Anmeldung konnte nicht gespeichert werden. Bitte versuchen Sie es erneut.
Ihre Anmeldung war erfolgreich.

Bereitgestellte Unterlagen müssen dem Bewerber eine Entscheidung über die Teilnahme ermöglichen

Im Ergebnis ohne Erfolg. Nach Ansicht des OLG Düsseldorf ist es nicht zu beanstanden, dass die Auftraggeberin der Antragstellerin den Vertragsentwurf nicht mit der Auftragsbekanntmachung vor Ablauf der Teilnahmefrist zur Verfügung gestellt hat. Ein Verstoß gegen § 41 Abs. 1 VgV liege nicht vor.

Bereits der Wortlaut der Vorschrift spräche dafür, dass § 41 Abs. 1 VgV eine Pflicht zur Bereitstellung der vollständigen Vergabeunterlagen zum Zeitpunkt der Auftragsbekanntmachung nicht begründe.

Nach § 41 Abs. 1 VgV hat der öffentliche Auftraggeber „in der Auftragsbekanntmachung […] eine elektronische Adresse an(zugeben), unter der die Vergabeunterlagen unentgeltlich, uneingeschränkt, vollständig und direkt abgerufen werden können.

Das Adjektiv „vollständig“ beziehe sich nicht auf die Vergabeunterlagen und damit auf den Umfang der zum Abruf über die elektronische Adresse bereit gestellten Unterlagen. Das Adjektiv bezieht sich vielmehr darauf, in welchem Umfang der Abruf der Unterlagen möglich sein muss. Die vom öffentlichen Auftraggeber zum Download bereit gestellten Unterlagen müssen vollständig abrufbar sein. Sie dürfen also nicht nur teilweise elektronisch und teilweise in Papierform zugänglich sein. Die Vorschrift gibt nicht vor, welche Unterlagen zum Abruf einzustellen sind, also wann von ihrer Vollständigkeit auszugehen ist. Dieses Verständnis findet nach Auffassung des OLG auch seine Bestätigung in der Begründung des Verordnungsgebers und in Art. 53 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2014/24/EU, der durch § 41 Abs. 1 VgV in nationales Recht umgesetzt worden ist.

Welche Unterlagen zu den nach § 41 VgV bereitzustellenden Vergabeunterlagen gehörten, regele nicht § 41 VgV, sondern § 29 VgV. Nach § 29 Satz 1 VgV umfassen die Vergabeunterlagen alle Angaben, die erforderlich sind, um dem Bewerber oder Bieter eine Entscheidung zur Teilnahme am Vergabeverfahren zu ermöglichen. Nach § 29 Satz 2 VgV bestehen die Vergabeunterlagen in der Regel aus:

  1. dem Anschreiben, insbesondere der Aufforderung zur Abgabe von Teilnahmeanträgen oder Angeboten oder Begleitschreiben für die Abgabe der angeforderten Unterlagen,
  2. der Beschreibung der Einzelheiten der Durchführung des Verfahrens (Bewerbungsbedingungen), einschließlich der Angabe der Eignungs- und Zuschlagskriterien, sofern nicht bereits in der Auftragsbekanntmachung genannt, und
  3. den Vertragsunterlagen, die aus der Leistungsbeschreibung und den Vertragsbedingungen bestehen.

Aus der Formulierung „in der Regel“ schlussfolgert das Gericht, es könne auch Ausnahmen geben.

Ausgehend von dieser Vorschrift sei daher auch nicht zu beanstanden, dass die Vergabestelle der Antragstellerin vor Ablauf der Teilnahmefrist den Reinigungsvertrag nicht zum Download über die bekannt gegebene Internet-Adresse zur Verfügung gestellt hat. Die darin enthaltenen Angaben waren nicht i.S. von § 29 Abs. 1 Satz 1 VgV erforderlich, um der Antragstellerin die Teilnahme an dem Vergabeverfahren durch Abgabe eines Teilnahmeantrags zu ermöglichen.

Welche Angaben zu den Vergabeunterlagen gehören müssten, die den Unternehmen zur Verfügung zu stellen seien, richte sich danach, ob die Angaben „erforderlich“ sind, um dem Bewerber eine Entscheidung über die Teilnahme am Vergabeverfahren zu ermöglichen.

Im nicht offenen Verfahren mit Teilnahmewettbewerb – wie hier – setze die Teilnahme am Vergabeverfahren jedoch (zunächst) nur die Abgabe eines Teilnahmeantrags voraus. Erforderlich, aber auch ausreichend, seien daher sämtliche Angaben, die dem Unternehmen eine belastbare Entscheidung ermöglichen, ob die ausgeschriebenen Leistungen nach Art und Umfang in das Produktportfolio fallen und ob es aus unternehmerischer Sicht sinnvoll sei, in den Teilnahmewettbewerb einzutreten. Art und Umfang der zu beschaffenden Leistung, die Bedingungen der Vergabe und der Verfahrensablauf seien demnach so zu beschreiben, dass das Unternehmen entscheiden könne, ob es an dem Auftrag interessiert und zur Leistungserbringung geeignet sei. Für diese Entscheidung seien jedoch nicht immer zwingend sämtliche Vergabeunterlagen notwendig. Hier sei der konkrete Inhalt des Reinigungsvertrages für die Entscheidung der Antragstellerin, sich am Teilnahmewettbewerb zu beteiligen, nicht erforderlich.

Kein Widerspruch zur Entscheidung des OLG München

Die Entscheidung steht nach Ansicht des Gerichts auch nicht im Widerspruch zum Beschluss des OLG München vom 13.03.2017 (Verg 15/16, Rz. 81 zu § 41 Abs. 1 SektVO). Das OLG hatte dort für ein Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb ausgeführt, dass bereits mit der Auftragsbekanntmachung die Vergabeunterlagen allen Interessierten zur Verfügung zu stellen sind, jedenfalls soweit diese Unterlagen in einer finalisierten Form vorliegen können und sie erforderlich sind, um interessierten Unternehmen eine Entscheidung über die Teilnahme am Vergabeverfahren zu ermöglichen. Hierbei hat das OLG München ausdrücklich auf die Begründung der SektVO Bezug genommen, wonach – ebenso wie bei der Begründung zu § 41 VgV – die Vergabeunterlagen alle Angaben umfassen, die erforderlich sind, um interessierten Unternehmen eine Entscheidung über die Teilnahme am Vergabeverfahren zu ermöglichen.

Hinweise für die Praxis

Es bleibt abzuwarten, ob sich die Sichtweise des OLG Düsseldorf zu einer ständigen Rechtsprechung verfestigt. Jedenfalls hat das Gericht auch nach seiner Ansicht inzidenter klargestellt, dass bereits mit dem Teilnahmewettbewerb die für die Entscheidung über eine Teilnahme erforderlichen Unterlagen bereitstehen müssen. Wann dies nicht der Fall ist, wird im Einzelfall u.U. schwer zu beurteilen sein. Vergabestellen sind daher gut beraten, eher dem Grundsatz zu folgen „lieber zu viel als zu wenig..“ der Vergabeunterlagen auch bereits mit Veröffentlichung bereitzustellen.

Bildquelle: BCFC – shutterstock.com