Berlin: Die Ausführungsbestimmung Tariftreue liegt vor

Das Vergabemindestentgelt in Berlin wurde auf 13 Euro erhöht. Zum Jahresbeginn wurde überdies die Ausführungsvorschrift für die Kontrolle der Vertragsbedingungen zur Einhaltung der sozialen und ökologischen Maßnahmen gemäß BerlAVG veröffentlicht.

I. Ausführungsbestimmung Tariftreue

Ende November 2022 ist die Ausführungsvorschrift insbesondere über das Verfahren zur Feststellung sowie über die Bekanntgabe der jeweils anwendbaren Tarifverträge bei öffentlichen Aufträgen des Landes Berlin veröffentlicht worden. Damit ist das Berliner Ausschreibungs- und Vergabegesetz vollumfänglich wirksam. Denn anzuwenden war § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 erst ab dem Tag, an dem entsprechende Ausführungsbestimmungen in Kraft treten.

Die Ausführungsbestimmung war im Rahmen einer Sitzung des Wirtschaftsausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus noch für das laufende Jahr in Aussicht gestellt worden.

Das Rundschreiben Nr. 01/2022 der Senatsverwaltungen für Arbeit, Stadtentwicklung und Wirtschaft ist online im Vergabeservice des Landes Berlin abrufbar. Als Anlagen umfasst es die eigentliche Ausführungsvorschrift Tariftreue sowie eine Berechnungshilfe. Verlinkt sind überdies branchenspezifische Tarifinformationen, die in alphabetischer Sortierung nach Wirtschaftsbereichen aufgeführt werden.

II. Erhöhung des Mindestentgelts

Am 1. Dezember 2022 wurde das Erste Gesetz zur Änderung des Berliner Ausschreibungs- und Vergabegesetz (BerlAVG) vom Abgeordnetenhaus von Berlin in 2. Lesung angenommen. Mit dem Änderungsgesetz wird in § 9 Absatz 1 Nummer 3 BerlAVG der Betrag des Vergabemindestentgelts bei der Ausführung öffentlicher Aufträge von 12,50 Euro auf 13,00 Euro brutto heraufgesetzt.

Die Senatsverwaltungen für Wirtschaft, Energie und Betriebe sowie für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen informierten hierüber am 12. Dezember per Rundschreiben.

Das Gesetz findet Anwendung auf alle Vergabeverfahren, die ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens begonnen werden. Als Beginn eines Vergabeverfahrens gilt der Tag, an dem die Auftragsbekanntmachung abgesendet wird oder das Vergabeverfahren auf sonstige Weise eingeleitet wird, insbesondere der Zeitpunkt der Aufforderung zur Angebotsabgabe.

Die Änderung tritt am Tag nach der Veröffentlichung im Gesetz- und Verordnungsblatt in Kraft. Diese steht noch aus und wurde für die 51. Kalenderwoche in Aussicht gestellt.

Dieses Vorhaben stieß bei den Wirtschaftsvertretern – überwiegend aus dem Baubereich – angesichts der Fachkräfteproblematik indes eher auf Gleichmut denn auf Kritik. Die Steuerungswirkung sei minimal, sagte etwa Dr. Manja Schreiner, Fachgemeinschaft Bau Berlin. Das möge in anderen Branchen aber durchaus anders sein.

III. Verwaltungsvorschrift Kontrolle

Update: Auch die angekündigte Verwaltungsvorschrift Kontrolle liegt seit Ende Dezember 2022 vor und ist am 1. Januar 2023 in Kraft getreten.

Gemäß § 16 des Ausschreibungs- und Vergabegesetzes müssen öffentliche Auftraggeber im Land Berlin schon seit dem Jahr 2022 5 % der vergebenen Aufträge auf Einhaltung der in den §§ 7 bis 13 beschriebenen strategischen Ziele (Frauenförderung, Umweltverträglichkeit, ILO-Kernarbeitsnormen etc.) stichprobenartig kontrollieren.

Unterstützt werden sie dabei durch eine „zentrale Kontrollgruppe“, die von öffentlichen Auftraggebern Vergabeunterlagen anfordern kann, um anschließend Handlungsempfehlungen auszusprechen.

Die Möglichkeit der Kontrolle muss vertraglich vereinbart werden. Dies soll durch Einbeziehung der Besonderen Vertragsbedingungen (BVB) über Kontrolle und Sanktionen nach dem BerlAVG (Teil B) Wirt-2144 bzw. des ABau-Formblatts V 255 F oder vergleichbare Formulare geschehen.

Kontrollen erfolgen stets in Absprache mit den geprüften Unternehmen. Aufgrund des Aufwandes, den eine Kontrolle auch für die zu kontrollierenden Unternehmen darstellt, soll bei der Kontrolle ein regelmäßiger Wechsel der zu prüfenden Auftragnehmer stattfinden.

Zentrale Datenbank in Planung

Die zentrale Kontrollgruppe soll organisatorische Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Einrichtungen des Landes Berlin in Erfahrung bringen können, ob und wann ein Unternehmen geprüft wurde. Hierfür sei eine zentrale Datenbank in Planung.

Bis dies der Fall ist, sollen öffentliche Auftraggeber erfragen, wann ein Unternehmen zuletzt geprüft wurde. Auch sind sie angehalten, der zentralen Kontrollgruppe zu melden, welches Unternehmen von Ihnen mit gegebenenfalls welchen Beanstandungen geprüft wurde.

IV. Verwaltungsvorschrift ILO

In § 8 schreibt das Berliner Ausschreibungs- und Vergabegesetz überdies die Beachtung der ILO-Kernarbeitsnormen vor. Demnach sollen Aufträge über Leistungen, die Waren oder Warengruppen enthalten, bei denen eine Gewinnung, Herstellung oder Weiterverarbeitung unter Missachtung der ILO-Kernarbeitsnormen in Betracht kommt, nur an Auftragnehmer vergeben werden, die sich bei der Angebotsabgabe verpflichtet haben, die Leistung nachweislich unter Beachtung der ILO-Kernarbeitsnormen zu erbringen.

Die Ausführung dieser Vorgaben, insbesondere über die Bestimmung der Waren und Warengruppen, der Länder oder Gebiete, die im Hinblick auf eine Missachtung der ILO-Kernarbeitsnormen in Betracht kommen sowie zur Nachweisführung soll in einer Verwaltungsvorschrift ILO näher beschrieben werden, die bislang ebenfalls nicht vorlag. Sie werde nach Bekanntmachung der Verwaltungsvorschrift Kontrolle ebenfalls zeitnah – Anfang 2023 – veröffentlicht, wie die Senatsverwaltung erklärte.

Sobald die Verwaltungsvorschriften vorliegen, werden wir hier im cosinex Blog zeitnah berichten.

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V. Diskussion um strategische Ziele im Vergaberecht

Die Anhörung bot darüber hinaus auch interessante Einblicke in das kontinuierliche Ringen um die strategischen Ziele im Vergaberecht. Im Vorfeld der Ausschusssitzung hatten sich die Fraktionen im Berliner Abgeordnetenhaus entsprechend positioniert:

Die Koalition aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Linkspartei brachte nicht nur ihren Antrag zur Anhebung des Vergabemindestlohns ein, sondern hob darüber hinaus auch das Thema einer „Qualifizierung der Vergabepraxis“ auf die Agenda.

VI. Vergabepraxis: Gar nicht so einfach

Denn: „Die Vergabepraxis bleibt ein relativ komplizierter Vorgang“, wie der Abgeordnete Damiano Valgolio (Die Linke) in seinem Eingangsstatement einräumte; nicht nur aufgrund der zahlreichen Vergabestellen im Land Berlin, sondern eben auch wegen der diversen strategischen Kriterien: „Es ist gar nicht so einfach,“ so Valgolio, „diese Kriterien alle unterzubringen und dann auch zu kontrollieren und das so, dass es auch für die Unternehmen möglichst einfach ist, die Vorgaben zu erfüllen und sich zu bewerben.“

FDP und CDU grenzten sich erwartbar deutlich von der Stärkung jeglicher strategischer Aspekte im Vergaberecht ab: Das Ziel müsse sein, dass Unternehmen sich wieder bewerben, so Christian Gräff (CDU). „Ich glaube, dass die Koalition im Moment genau das Gegenteil tut, deswegen finden wir für viele öffentliche Bauten überhaupt niemanden, der sich bewirbt.“

Christian Wolf (FDP) ging darüber hinaus, indem er im Namen seiner Fraktion die Abschaffung des Berliner Vergabegesetzes forderte. Das Vergaberecht auf Bundes- und europäischer Ebene sei ausreichend, Berlin sollte nicht noch zusätzliche Hürden schaffen.

VII. Viele Unternehmen beteiligen sich nicht

Im Rahmen der Anhörung, zu der externe Experten aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft geladen waren, überwog insgesamt die kritische Auffassung, wenn auch mit Zwischentönen: Im Grundsatz sollten nur solche Vergabeaspekte in einem Verfahren Eingang finden, die dann auch mit einer hinreichend großen Stichprobe geprüft werden, forderte etwa Prof. Dr. Martin Altemeyer-Bartscher von der Handwerkskammer Berlin. Zwar würden die „sozio-ökologischen Ziele“ von der Kammer wie auch von den Betrieben vielfach geteilt und auch gelebt, die Anforderungen in den Ausschreibungen seien dennoch ein wesentlicher Grund dafür sind, dass viele Handwerksunternehmen sich nicht beteiligen.

Christine Heydrich von der Sozialkasse des Berliner Baugewerbes berichtete von den Rückmeldungen ihrer Mitgliedsunternehmen, dass das Problem nicht so sehr sei, dass es Regeln gibt: „Regeln sind sogar sehr erforderlich. Natürlich ist das Verfahren aufwendig, aber dem würde man sich gerne stellen.“ Das Problem bestünde darin, dass immer nur das billigste Angebot den Zuschlag bekommt, unabhängig davon, ob überhaupt Mindestarbeitsbedingungen eingehalten werden könnten.

VIII. Auf das Notwendigste beschränken

Zudem seien die ausgeschriebenen Leistungsverzeichnisse unspezifisch, gewerkeübergreifend und damit gerade für kleinere Unternehmer schwierig. Auch hätten ihr Unternehmer berichtet, sie wüssten, dass sie den Zuschlag nicht bekommen. „Aber später wird der Auftraggeber auf sie zukommen, weil es dann wieder Mängel gibt und nachgebessert werden muss.

Das unterstrich Dr. Manja Schreiner, Fachgemeinschaft Bau Berlin: Sie appellierte an den Ausschuss, sich beim Vergaberecht auf das Notwendigste zu beschränken – und auch auf die Tariftreue zu verzichten: Müsse man bei jeder Phase eines Bauprojektes prüfen, welcher Tarifvertrag dort einschlägig ist, werde der ohnehin schon schwierige Prozess der Lohnkalkulation weiter verkompliziert.

IX. Weitere Informationen

Titelbild: Florian Wehde – Unsplash