Beschaffungsautonomie des öffentlichen Auftraggebers

Wer die Musik bestellt, bestimmt auch was gespielt wird – und muss sie auch bezahlen.“

Diese Mélange zweier deutscher Sprichwörter umreisst die Vor- aber auch die Nachteile des sog. Leistungsbestimmungsrechts aus Sicht öffentlicher Auftraggeber recht gut.

Das Leistungsbestimmungsrecht ist im Kern ein Rechtsbegriff des deutschen Schuldrechts. Es bezeichnet vereinfacht gesagt das Recht, den genauen Inhalt für eine vertragliche Leistung weitgehend „frei“ zu bestimmen. Im Fall der öffentlichen Auftragsvergabe erfolgt dies, im Regelfall, durch die Vergabestelle bzw. den öffentlichen Auftraggeber.

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In rein privatrechtlichen Verhältnissen zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer wird dieser sehr weit zu fassende Grundsatz häufig nur unter Auslegungsgesichtspunkten, insbesondere bei Leistungsstörungen bzw. einem Dissenz über den Vertragsgegenstand, betrachtet. Seine Grenzen findet dieser Grundsatz bei Verstößen gegen spezialgesetzliche Regelungen wie Allgemeinen Geschäftsbedingungen, aber eben auch durch wettbewerbs- und konkret vergaberechtliche Vorgaben. Im Rahmen eines Gastbeitrags von Herrn RA Werner Stirnweiß, Partner der Kanzlei BEITEN BURKHARDT, befassen wir uns mit den Grundsätzen des Leistungsbestimmungsrechts und den Grenzen der Beschaffungsautonomie aus Sicht von Vergabestellen und öffentlichen Auftraggebern.

Grundsatz: Beschaffungsautonomie des öffentlichen Auftraggebers

Bei Fiskalgeschäften der öffentlichen Verwaltung gilt ebenso wie im Rechtsverkehr zwischen „Privaten“ der Grundsatz, dass der Einkäufer den Vertragsgegenstand entsprechend seiner Bedürfnisse festlegen kann. Als Ausfluss der Privatautonomie und der Vertragsfreiheit (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25.06.2014 – Verg 47/13) – eine wesentliche Erscheinungsform der Privatautonomie – ist also auch der öffentliche Auftraggeber grundsätzlich darin frei, über das „Ob“ und das „Was“ einer Beschaffung zu entscheiden (sog. Beschaffungsautonomie). Wie das OLG Düsseldorf in seinem Beschluss vom 17. Februar 2010 (Verg 42/09) betont, ist

„die Festlegung des Beschaffungsgegenstandes der ausschließ­lichen Bestimmung durch den öffentlichen Auftraggeber unterworfen […], der genauso wie Private allein die Art der zu vergebenden Leistung und den Auftragsgegenstand bestimmt. Entschließt er sich zur Beschaffung, ist er frei in seiner Entscheidung, welchen Auftragsgegenstand er für erforderlich oder wünschenswert hält.“

Dabei geht die autonom zu treffende Beschaffungsentscheidung des öffentlichen Auftraggebers einer etwaigen Ausschreibung und Vergabe voraus. Das Vergabeverfahren und ein sich daran anschließendes Vergabenachprüfungsverfahren dienen grundsätzlich allein dazu, den Vertragspartner für den vom Auftraggeber einseitig festgesetzten Auftragsgegenstand zu finden. In diesem Zusammenhang wird gerne die vereinfachende, aber dafür griffige Formel bemüht:

Das Vergaberecht regelt grundsätzlich nicht das „Ob“ und „Was“ einer Beschaffung, es regelt nur die Art und Weise, also das „Wie“ dieser Beschaffung, (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25.06.2014 – Verg 47/13).

Spätestens bei der anschließenden Beschreibung der Leistung sind jedoch die Beschränkungen der Beschaffungsautonomie zu beachten, die sich aus dem Vergaberecht, insbesondere den vergaberechtlichen Grundsätzen des Wettbewerbs, der Transparenz und der Gleichbehandlung, ergeben.

„Hat der Auftraggeber die Leistung bestimmt und entsprechend ausgeschrieben, dann unterliegt die ausgeschriebene Leistung freilich den einschlägigen vergaberechtlichen Vorschriften.“ (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17.02.2010 – Verg 42/09).

Zudem weist die Beschaffungsautonomie zahlreiche Facetten auf, denen sich der öffentliche Auftraggeber bewusst sein sollte, wenn er im Anschluss an die Bedarfsdefinition und Beschaffungsentscheidung die zu beschaffende Leistung beschreibt.

Konsequent: Der Leistungsbestimmung folgt das Risiko der Geeignetheit des Leistungsgegenstandes

Macht der öffentliche Auftraggeber von der ihm zukommenden Beschaffungsautonomie Gebrauch und beschreibt er die Leistung entsprechend dem von ihm identifizierten Bedarf, trägt er mit dieser Leistungsbestimmung konsequentermaßen zugleich auch das Risiko der Geeignetheit des Leistungsgegenstandes.

Es gilt: „Wer die Musik bezahlt, bestimmt, was gespielt wird: Selbst wenn es schlecht ist!“ (Stoye, IBR 2011, 710 – OLG Dresden, Beschluss vom 17.05.2011 – WVerg 3/11).

Mit Hinweis auf die Beschaffungsautonomie des öffentlichen Auftraggebers stellt das OLG Düsseldorf in seinem Urteil vom 13. Januar 2010 (Az.: 27 U 1/09) zutreffend klar, dass es nicht die Aufgabe des Vergaberechts ist, den Auftraggeber vor technisch oder wirtschaftlich unsinnigen Aufträgen zu schützen. Wenn die Leistungsbeschreibung zu technischen Mängeln des Werks führt, hat dies der Auftragnehmer – nach Anmeldung seiner Bedenken – hinzunehmen, der Auftraggeber die sich hieraus ergebenden Risiken zu tragen.

Korrespondierend: Leistungsbestimmungspflicht des Auftraggebers – Herstellung der Vergabereife

Dem öffentlichen Auftraggeber kommt im Rahmen seiner Beschaffungsautonomie – umgekehrt – nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht zu, die zu beschaffende Leistung eindeutig und erschöpfend zu beschreiben – und zwar vor Beginn der Ausschreibung.

Weil der Auftraggeber mit Veröffentlichung einer Vergabebekanntmachung stets an deren Inhalt gebunden ist und ein hierdurch eingeleitetes Vergabeverfahren nur unter engen Voraussetzungen aufgehoben werden kann, muss ein Auftrag zu Beginn des Vergabeverfahrens „ausschreibungsreif“ sein (vgl. § 2 Abs. 5 VOB/A).

Entsprechend diesem allgemein gültigen Grundsatz der „Vergabereife“ dürfen die Veröffentlichung der Vergabebekanntmachung bzw. – sofern eine solche ausnahmsweise entbehrlich ist – die Aufforderung zur Angebotsabgabe u. a. erst dann erfolgen, wenn alle Vergabeunterlagen, also auch die Leistungsbeschreibung, fertig gestellt sind.

In der Praxis wird gerade bei Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb der Zeitraum bis zur Versendung der Vergabeunterlagen häufig noch für deren Erstellung bzw. Fertigstellung genutzt. Das damit verbundene Risiko gegebenenfalls erforderlicher Abweichungen von zeitlichen oder inhaltlichen Angaben der Vergabebekanntmachung hat der Auftraggeber zu tragen.

Zwar ist § 2 Abs. 5 VOB/A als „Soll“ Vorschrift ausgestaltet. Der Grundsatz der Vergabereife ist jedoch bieterschützend; Bewerber haben einen Anspruch darauf, dass er beachtet wird. Für Ausnahmen, die im Einzelfall ein Abweichen vom Grundsatz der Vergabereife rechtfertigen können, trägt der Auftraggeber die Darlegungs- und Beweislast.

Kehrseite: Begrenzte Möglichkeit der Einflussnahme des Bieters auf die Leistungsbestimmung

Die Beschaffungsautonomie des öffentlichen Auftraggebers hat auch zur Folge, dass es Bietern grundsätzlich verwehrt ist, eigene, insbesondere abändernde Vorstellungen hinsichtlich des Auftragsgegenstandes anzubringen oder gar gegen den Auftraggeber durchzusetzen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15.06.2010 – Verg 10/10; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17.02.2010 – VII Verg 42/09).

Auch hier gilt: Zweck des Vergabeverfahrens und eines sich daran anschließenden Vergabenachprüfungsverfahrens ist es, den Vertragspartner für den vom Auftraggeber einseitig festgesetzten Auftragsgegenstand zu finden. Vergabeverfahren wie Nachprüfungsverfahren können daher nicht dazu benutzt werden, um Vorstellungen des Bieters über einen anderen Auftragsgegenstand zu verfolgen oder gegen den Willen des Auftraggebers durchzusetzen (3. VK Bund, Beschluss vom 21.06.2012 – Az.: VK 3 57/12). Dementsprechend sind Angebote, die der gewünschten Leistung nicht entsprechen, zwingend von dem weiteren Vergabeverfahren auszuschließen (vgl. OLG München, Beschluss vom 29.03.2007 – Verg 2/07).

Etwas anderes kann sich für die Bieter nur dann ergeben, wenn der Auftraggeber den Auftragsgegenstand (zulässigerweise) nicht vollständig beschreibt und den Bietern begrenzten Raum zubilligt, auf die Leistungsbestimmung Einfluss zu nehmen und hierfür eigene Vorstellungen einzubringen. Dies ist u. a. in folgenden Konstellationen der Fall:

  • bei der Durchführung eines wettbewerblichen Dialogs oder eines Verhandlungsverfahrens;
  • bei der Zulassung von Nebenangeboten neben den Hauptangeboten;
  • bei einem Leistungsverzeichnis, das neben Grundpositionen auch Alternativpositionen vorsieht;
  • bei einer funktionalen Ausschreibung und einer Leistungsbeschreibung mit Leistungsprogramm, bei denen die Bieter regelmäßig auch Planungsleistungen zu erbringen haben.

Keine Regel ohne Ausnahmen: Grenzen der Beschaffungsautonomie des Auftraggebers

Während die Definition des Beschaffungsgegenstandes grundsätzlich der ausschließlichen Bestimmung durch den öffentlichen Auftraggeber obliegt, werden spätestens bei der Beschreibung der Leistung die Grenzen relevant, die das Vergaberecht der Beschaffungsautonomie des öffentlichen Auftraggebers zieht.

Diese Grenzen der Beschaffungsautonomie dienen – so das OLG Düsseldorf in seinem Beschluss vom 1. August 2012 (Verg 10/12) – der von der Richtlinie 2004/18/EG angestrebten Öffnung des Beschaffungswesens der öffentlichen Hand für den Wettbewerb, aber auch der effektiven Durchsetzung der Warenverkehrsfreiheit.

Diese Grenzen der Beschaffungsautonomie ergeben sich u.a. aus:

  • den Grundsätzen des Wettbewerbs, der Transparenz und der Gleichbehandlung;
  • dem Gebot der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung;
  • dem Grundsatz der produktneutralen Ausschreibung;
  • dem Gebot der Losaufteilung;
  • den Anforderungen der für Allgemeine Geschäftsbedingungen geltenden Vorschriften der §§ 305 ff BGB.

Zum Autor

werner_stirnweiss

Werner Stirnweiß ist Partner bei BEITEN BURKHARDT in München und Mitglied der Praxisgruppe Öffentliches Recht/Vergaberecht. Sein Tätigkeitsbereich umfasst neben dem Vergaberecht und dem IT-Recht auch das Handels- und Gesellschaftsrecht sowie den Bereich der Prozessführung. Er berät die öffentliche Hand bei der Realisierung von Projekten insbesondere in den Bereichen Bau, Infrastruktur und Informationstechnologie. Darüber hinaus vertritt Werner Stirnweiß seine Mandanten vor Gericht und außergerichtlich im Rahmen alternativer Streitbeilegung. Ein weiterer Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt in der Beratung von Unternehmen in der Vertragsgestaltung und im Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen.

Werner Stirnweiß studierte Rechtswissenschaften an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und wurde im Jahr 2001 zur Anwaltschaft in Deutschland zugelassen. Seit 2001 ist er bei BEITEN BURKHARDT tätig, seit 2007 als Partner.