Virtueller Touchscreen "Nachhaltigkeit"

Was europaweit mit den neuen EU-Vergaberichtlinien gefördert werden soll, ist – getrieben durch die Tariftreue- und Vergabegesetze der Bundesländer – für viele Kommunen schon seit einigen Jahren gelebte Praxis: Die Berücksichtigung von Aspekten rund um das Thema Nachhaltigkeit, die deutlich über die rein ökonomischen Kriterien hinaus gehen und im Einkauf der öffentlichen Hand immer stärker berücksichtigt werden sollen. Ein Paradigmenwechsel auch für die Öffentliche Vergabe, bei der aus rechtlicher Sicht noch vor wenigen Jahren von vergabefremden Kriterien gesprochen wurde, die im Regelfall nicht oder nur sehr eingeschränkt berücksichtigt werden durften.

Die Veränderung unseres Einkaufsverhaltens und die Stärkung von nachhaltigen Konsummustern ist eine weltweit dringliche Aufgabe“, so Prof. Dr. Günther Bachmann, Generalsekretär des Rats für Nachhaltige Entwicklung (RNE), der u.a. die Bundesregierung in Fragen der Nachhaltigkeit berät. „Während sich unsere Informationshilfe „Der nachhaltige Warenkorb“ an die Konsumenten wendet, so muss die öffentliche Hand als größter deutscher Konsument endlich die Rahmenbedingungen so setzen, dass auf Einsicht auch wirkliches Handeln folgen kann“, so Bachmann weiter.

Keinen Beitrag mehr verpassen? Jetzt für unseren Newsletter anmelden und Themen auswählen

Ihre Anmeldung konnte nicht gespeichert werden. Bitte versuchen Sie es erneut.
Ihre Anmeldung war erfolgreich.

Auch der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung (PBnE) des Deutschen Bundestags mahnt schon lange eine verstärkte Berücksichtigung der Nachhaltigkeitsaspekte im deutschen Vergaberecht an.

Nachhaltigkeit in der kommunalen Praxis

Um herauszufinden, wie und in welchem Umfang sich die Aspekte der Nachhaltigkeit in der kommunalen Vergabepraxis spiegeln, wurde bereits 2013 eine umfassende Studie durch das „Institut für den öffentlichen Sektor“ gemeinsam mit dem Consulting-Bereich „Supply Chain Management & Procurement“ der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft durchgeführt. Hierbei wurden bei den größten deutschen Städten und Landkreisen sowie deren öffentlichen Unternehmen untersucht, wie das Beschaffungswesen aufgestellt ist und inwieweit Nachhaltigkeitsaspekte bei Beschaffungen zu diesem Zeitpunkt bereits Berücksichtigung fanden. Die Studie nimmt dabei für sich (sicher zu Recht) in Anspruch, die erste deutschlandweite Bestandsaufnahme des öffentlichen Beschaffungswesens auf kommunaler Ebene unter diesem Gesichtspunkt abzubilden. Kern der Studie ist primär, wie das häufig sehr abstrakte Thema „Nachhaltigkeit“ in konkretes Verwaltungshandeln übersetzt wird: Vom Aufbau des Beschaffungswesens über die rechtlichen Vorgaben für nachhaltige Beschaffung bis hin zu konkreten Ansätzen und abgeleiteten Handlungsempfehlungen für Kommunen.

Zwischen Oktober 2014 und Januar 2015 wurde eine weitere online-basierte Follow-up-Umfrage durchgeführt. Die Ergebnisse sind nun auch online veröffentlicht. Wesentliche Erkenntnisse der Umfrage lassen sich u.E. in drei Punkten zusammenfassen:

  1. Die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten hat aus Sicht von 36% der Teilnehmer aufwändigere Beschaffungsprozesse zur Folge. Etwa gleich viele gaben an, dass hierdurch weniger Anbieter zur Auswahl stünden und für knapp ein Drittel der Teilnehmer sind die Produkte in der Konsequenz teurer geworden. Gleichzeitig werden laut 40 Prozent der Befragten die neuen Anforderungen von den Bedarfsträgern akzeptiert.
  2. Die Haushaltslage einer Kommune entscheidet nicht darüber, ob Nachhaltigkeitsaspekte im Beschaffungsprozess berücksichtigt werden. Mehr als ein Drittel der befragten Kommunalverwaltungen befindet sich zum Zeitpunkt der Follow-up-Befragung in einer Haushaltssicherung. Annähernd 90 Prozent der Kommunen in einer Haushaltssicherungsmaßnahme geben an, immer oder häufig Sozialstandards zu berücksichtigen, bei Umweltkriterien tun dies etwa 70 Prozent. Diese Aussage der Studie relativiert sich, wenn man berücksichtigt, dass viele Kommunen hiermit „nur“ bestehende landesrechtliche Vorgaben umsetzen.
  3. Der gefühlte Reifegrad der teilnehmenden Beschaffungsstellen entspricht lt. der Hälfte der Befragten einer reinen Bedarfs- und Bestellabwicklung. Als „strategischer“ Einkaufsmanager sehen sich heute nur noch 13 Prozent der Befragten. 

Kommunale Beschaffung im Umbruch

Studie_Kommunale Beschaffung im Umbruch

Auch wenn gerade der Befragungszeitraum in die Umsetzung einer Reihe von landesrechtlichen Vorgaben zu diesem Thema fällt, lohnt ein Blick in die Studie aus 2013. Uns ist die Studie insb. durch die Tiefe ihrer Bearbeitung im Hinblick auf die aufgestellten Ziele positiv aufgefallen.

Nachhaltig zu handeln ist sicher eine der wichtigsten Maximen der Gegenwart, egal ob es um global agierende Konzerne oder lokale Organisationen wie Kommunen geht. Während für den Konsum von Privatpersonen und Unternehmen umfassendes Datenmaterial vorliegt, gibt es für die die Öffentliche Hand verhältnismäßig wenig empirische Ansätze, gerade wenn es darum geht, nicht den häufig „diffusen“ Öffentlichen Auftraggeber qua Vergaberecht bzw. GWB zu untersuchen, sondern konkrete Verwaltungsebenen (z.B. Bundes- oder Landesverwaltungen oder wie hier Kommunen) in den Fokus zu nehmen. Auch vor diesem Hintergrund ist die Studie beachtlich.

Für diese Studie wurden ab Frühjahr 2013 die Verwaltungen der 174 größten deutschen Kommunen zur Rolle der Nachhaltigkeit in der Beschaffung befragt. 56 Kommunalverwaltungen (32,2%) nahmen an der Befragung teil. Dabei schätzten 80 Prozent der befragten Kommunen ihr jährliches Beschaffungsvolumen auf weniger als 200 Mio. Euro, 14% auf 200 bis 400 Mio. Euro, 4% auf 401 bis 600 Mio. und nur 2% auf mehr als 1 Mrd. Euro.

„Dimensionen“ der Nachhaltigkeit

Die kommunalen Beschaffungsstellen beziehen alle drei Dimensionen der Nachhaltigkeit – Ökologie, Ökonomie und Soziales – in ihr Begriffsverständnis einer nachhaltigen Beschaffung ein. Geht es für den Beschaffungsvorgang um die Relevanz der drei Dimensionen in der jeweiligen Kommune, geben die Befragten ökonomischen Aspekten ein Gewicht von zwei Dritteln. Ökologische Gesichtspunkte erhalten – ebenso wie soziale Aspekte – eine Gewichtung von jeweils durchschnittlich knapp einem Fünftel.

Die Studienergebnisse zeigen deutlich, dass ein Umdenken bei der Beschaffung in Richtung Nachhaltigkeit bereits begonnen hat, gleichzeitig agiert die öffentliche Beschaffung weitgehend entkoppelt von übergeordneten Zielvorgaben. Nur gut jeder fünfte Befragte orientiert sich an übergreifenden Kennzahlen zur nachhaltigen Beschaffung. So führten 66 Prozent bei der Frage nach den zur Förderung der nachhaltigen Beschaffung eingesetzten Instrumenten Dienstanweisungen an, ca. 45 Prozent kommunale Beschaffungsrichtlinien. Instrumente wie Kennzahlen und Indikatoren, interne Leitfäden, Monitoring und Benchmarking wurden von jeweils nur knapp 20 Prozent der Befragten genannt.

Auch im Hinblick auf die Bündelung der Einkaufsaktivitäten ist noch viel Platz nach oben. Um weitere Kostenvorteile zu erzielen und Nachhaltigkeit dauerhaft zu etablieren, ist eine organisatorische Zusammenführung mit anderen kommunal beherrschten Einkaufsorganisationen sinnvoll, insbesondere weil man dadurch auch das Wissen speziell qualifizierter Mitarbeiter effizient nutzen kann. In vielen Kommunen setzt man zur Kostenverbesserung zwar bereits auf Kooperationen, insgesamt wird das Potential dieser Maßnahmen aber noch längst nicht ausgeschöpft: So bündeln rund 86 Prozent der Befragten ihre Einkaufsaktivitäten innerhalb der eigenen Verwaltung, mit anderen Kommunalverwaltungen arbeiten immerhin knapp zwei Drittel zusammen.

„Dass viele Kommunen noch gar nicht die enormen Potentiale ihrer Beschaffung hinsichtlich einer Haushaltskonsolidierung erkannt haben, lässt auf ein fehlendes Gesamtkonzept schließen“, sagt Clemens Dicks, Partner SCM & Procurement Consulting bei der KPMG AG. „Ein immer wieder auftretender Kardinalfehler ist die späte Einbindung der Beschaffung und die Fixierung auf den Preis und weniger auf die Lebenszykluskosten und dem tatsächlichen Mehrwert der benötigten Produkte und Dienstleistungen. Das greift viel zu kurz. Die frühe Beschaffung sollte frühzeitig eingebunden sein, also bereits in der Haushaltsplanung. Das wäre ein erster Meilenstein und die Basis einer mehrwertorientierten Beschaffung, die sich auf Nachhaltigkeit und Lebenszykluskosten fokussiert. Um ein solches Handeln dauerhaft zu etablieren, bedarf es zudem veränderter Organisations- und Prozesslösungen in der Beschaffung.“

Die Ergebnisse zeigen, dass die Kommunen den Weg in Richtung einer nachhaltigen Beschaffung zwar bereits eingeschlagen haben, dabei allerdings noch große Herausforderungen zu meistern sind. Nach Aussage der befragten Kommunen werden ökologische und soziale Standards künftig bei der Beschaffung eine noch wichtigere Rolle spielen. Dennoch ist die Mehrheit der Ansicht, dass die Beschaffungskosten weiterhin der bedeutendste Faktor bleiben.

Dem Beschaffungswesen kommt in der Kommunalverwaltung eine besondere Funktion zu. Wegen seines Querschnittcharakters kann es durch Vorgaben und Entscheidungen Einfluss auf das Nachhaltigkeitsverständnis der eigenen Kommunalverwaltung nehmen. Aufgrund des beträchtlichen finanziellen Volumens könnte die Beschaffung möglicherweise auch  einen erheblichen Einfluss auf die Wirtschaft entfalten. Laut Institut für den öffentlichen Sektor gilt es nun, die Potenziale der Beschaffung für eine nachhaltige Entwicklung der Kommunen zu erkennen und zu nutzen.

„Eine nachhaltige Beschaffung muss (…) die Politik gewinnen. Die Herausforderung besteht darin, Entscheidungen so anzulegen, dass zukünftige Räte profitieren. Vieles an Nachhaltigkeit zahlt sich erst später aus; erst die Nachfolger der jetzt Beschließenden werden etwas davon haben. Die Bereitschaft zu einem solchen Denken und Handeln (…) erfordert (es), (mutig) zu sagen: Wir nehmen in Kauf, dass Dinge heute teurer sind, weil es sich in Zukunft auszahlen wird.“ (Zitat aus einem Experteninterview, S. 37 der Studie).

Um diese Möglichkeiten ausschöpfen zu können, muss sich nicht nur das eigene Rollenverständnis der Beschaffung ändern, sondern gegebenenfalls auch ihre Stellung und das Ansehen innerhalb der gesamten Verwaltung – weg von der reinen Bestellabwicklung hin zu einem strategischen Partner für die Bedarfsträger. Dies ist u.a. auch eine Forderung aus der Studie, der nach unserer Beobachtung immer mehr Kommunen in der Form nachkommen, dass sie Zentrale Vergabestellen u.a. als vergaberechtliche „Know-how-Träger“ etablieren.

Aus unserer Sicht werfen sowohl die Ursprungsuntersuchung aus 2013 als auch die anschließende Follow-up-Studie viele interessante und z.T. auch neue Aspekte auf, die in diesem Umfang nicht erwartbar waren. Eine empfehlenswerte Lektüre somit für alle, die sich im Umfeld der Kommunalen Beschaffung mit dem Thema „Nachhaltigkeit“ auseinandersetzen.