In der Beschaffungspraxis ist es ein häufig anzutreffendes Szenario: Die Fachabteilung tritt mit einer Leistungsbeschreibung an die Vergabestelle heran. Aufgrund der darin enthaltenen technischen Spezifikationen kommt nur ein Anbieter in Betracht. Im besten Fall wird die Dokumentation einer mehr oder minder umfassend durchgeführten Markterkundung gleich mitgeliefert, die genau dieses Ergebnis stützt.

Der Autor

Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.

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Aufgrund des technischen Alleinstellungsmerkmals wird dann der Bedarf direkt bei dem vorher identifizierten Anbieter gedeckt: vermeintlich schnell, abschlussorientiert und ohne lästiges wettbewerbliches Vergabeverfahren. Gerade bei drohendem Dezemberfieber eine verlockende Lösung, da der Mittelabfluss (vordergründig) garantiert werden kann.

Die Vergabekammer des Bundes hat in einem kürzlich ergangenen Beschluss (29.09.2020, VK 2 – 73 / 20) zu den Voraussetzungen Stellung genommen, um sich seitens der Vergabestelle auf ein technisches Alleinstellungsmerkmal berufen zu können. In dem entschiedenen Fall mündete der Verzicht auf ein wettbewerbliches Verfahren trotz umfassender Begründung der Vergabestelle in der Feststellung der Unwirksamkeit des geschlossenen Vertrages.

I. Der Sachverhalt

Die Vergabestelle beschaffte spezielle Bauteile von Mikroskopen bei einem Unternehmen – der späteren Beigeladenen ‑ im Wege eines „Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb“.

In der Vergabeakte wurde dargelegt, dass der Verzicht auf einen Wettbewerb ausnahmsweise zulässig sei, weil der Auftrag aus technischen Gründen nur von der Beigeladenen erbracht werden könne (§ 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b VgV).

Aus der Bekanntmachung über vergebene Aufträge erfuhr ein Wettbewerber von dem Vertragsschluss und rügte umgehend den Verzicht auf den Wettbewerb. Die Berufung auf das technische Alleinstellungsmerkmal sei nur zulässig, wenn der gewählte Anbieter sozusagen Monopolist für die nachgefragte Leistung sei, was im konkreten Fall fernliegend sei.

Nachdem der Rüge nicht abgeholfen wurde, stellte der Wettbewerber einen Nachprüfungsantrag. Er führte darin aus, dass der durch Zuschlagserteilung geschlossene Vertrag mit der Beigeladenen von Anfang an unwirksam sei, weil die Vergabestelle den Auftrag rechtswidrig ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung vergeben habe (§ 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB).

II. Die Entscheidung

Im Rahmen der Zulässigkeit stellte die Vergabekammer u. a. fest, dass die Wettbewerberin den angeblichen Vergaberechtsverstoß binnen 30 Tagen nach Veröffentlichung der Bekanntmachung über vergebene Aufträge mit ihrem Nachprüfungsantrag angegriffen und damit die 30-Tages-Frist des § 135 Abs. 2 S. 2 GWB eingehalten habe.

Der Nachprüfungsantrag sei auch begründet. Eine gesetzliche Gestattung, den Auftrag ohne vorherige Veröffentlichung einer EU-weiten Bekanntmachung zu vergeben, liege nicht vor. Der geschlossene Beschaffungsvertrag sei daher für unwirksam zu erklären.

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1. Der Grundsatz: Privatautonomie

Im Ausgangspunkt sei es zwar im Sinne der auch dem öffentlichen Auftraggeber zustehenden Privatautonomie seine Sache, zu definieren, was er beschaffen möchte. Das Vergaberecht regele nur, in welchem Verfahren und nach welchen Regeln zu beschaffen sei. Die Definition des Beschaffungsbedarfs sei der eigentlichen Vergabe somit vorgelagert. Diese Freiheit des Auftraggebers führe vorliegend dazu, dass die getroffene Grundentscheidung, ein spezielles Gerät beschaffen zu wollen, in keiner Weise zu beanstanden sei.

2. Die Ausnahme: Der Ausschluss von Wettbewerb

Führe diese Spezifizierung zu einem völligen Ausschluss von Wettbewerb, sei zu berücksichtigen, dass eine Vergabe ohne vorhergehende Veröffentlichung einer Bekanntmachung schon nach der EU-Vergaberichtlinie (2014/24/EU) die absolute Ausnahme darstellen müsse. Diese speziellen Vorgaben der EU-Vergaberichtlinie setze § 14 Abs. 6 VgV um: Demnach sei zusätzliche Voraussetzung des Ausnahmetatbestandes, dass es keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung geben und der mangelnde Wettbewerb nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung der Auftragsvergabeparameter sein dürfe.

Im Rahmen der Markterkundung könne zwar nicht verlangt werden, dass der öffentliche Auftraggeber sich so umfassende Kenntnisse aneigne, die etwa vergleichbar der bei dem Hersteller vorhandenen Expertise sein müssten. Regelmäßig dürfte es ausreichen, wenn sich der Auftraggeber, bei anderen Nutzern vergleichbarer Produkte über die Vor- und Nachteile der einzelnen Geräte und die insoweit bestehenden Erfahrungen erkundigt und öffentlich verfügbare Quellen, wie hier z. B. Forschungsberichte, die Angaben zu der verwendeten Technik und den diesbezüglichen Umständen beinhalten, zu Rate ziehe. Führe die Markterkundung faktisch zu einem Ausschluss des Wettbewerbes, müssten die Gründe besonders sorgfältig dokumentiert werden.

Vorliegend habe die Vergabestelle Gespräche mit Vertretern dreier Einrichtungen geführt, die entsprechende Geräte nutzen sowie weitere fünf Websites entsprechender Einrichtungen durchgesehen und Literatur ausgewertet.

Allerdings bleibe aufgrund einer unzureichenden Dokumentation insbesondere unklar, nach welchen Gesichtspunkten die Gesprächspartner ausgewählt wurden, welcher Gesprächspartner welche Information geliefert habe, welche Modelle welcher Generation von den Gesprächspartnern konkret verwendet wurden und ob die Kontaktperson selbst einen eigenen Vergleich der unterschiedlichen Geräte vornehmen oder nur über Erfahrungen mit einem der infrage kommenden Hersteller berichten konnte.

Insgesamt vermochte sich die Vergabekammer aufgrund der unzureichenden Dokumentation der Markterkundung nicht davon zu überzeugen, dass die Markterkundung ausreichend tiefgehend und differenziert war, um zu dem Ergebnis zu gelangen, dass aus technischen Gründen kein Wettbewerb bestünde. Es sei nicht ausgeschlossen, dass die Ergebnisse der Markterkundung – ohne dass die Vergabestelle dies intendiert hätte – zufallshaft geblieben seien.

3. Keine Befassung mit Alternativen

Der Verzicht auf die Durchführung eines wettbewerblichen Vergabeverfahrens sei auch deshalb nicht rechtmäßig, weil keine ausreichende Befassung mit möglichen Alternativen dokumentiert wurde (§ 14 Abs. 6 VgV). Die technischen Besonderheiten, auf die der Auftraggeber das Fehlen von technischem Wettbewerb stützt, müssten von herausragender Bedeutung sein. Das Fehlen einer vernünftigen Ersatzlösung oder Alternative sei nicht schon dann anzunehmen, wenn das vom öffentlichen Auftraggeber favorisierte Produkt in einzelnen Merkmalen anderen am Markt erhältlichen Produkten überlegen sei. Nach der Vergaberichtlinie müsse es für einen anderen Wirtschaftsteilnehmer „technisch nahezu unmöglich“ sein, die Leistung zu erbringen.

Die Vergabekammer setzte sich mit den technischen Ausführungen der Vergabestelle auseinander. Sie befand, dass aus der Vielzahl möglicher qualitativer Unterschiede zwischen den Produkten unterschiedlicher Hersteller einzelne herausgegriffen wurden, um das Fehlen von Wettbewerb aus technischen Gründen zu bejahen. In diesem Fall bestünde eine besondere Begründungslast auf Seiten des Auftraggebers, der die Vergabestelle nicht genügt habe, wobei die Vergabekammer einzelne Aspekte erläutert hat.

4. Weitere Recherche unzureichend

Der bloße Verweis, dass auch andere Forschungseinrichtungen die entsprechenden Geräte der Beigeladenen einsetzen würden, reiche ebenfalls nicht, um eine Einengung des Wettbewerbes zu begründen. Auch hier hätte es der Darlegung der Begründung bedurft, warum genau diese Geräte beschafft wurden.

5. Die Quintessenz

Weil die Begründung nicht getragen hat, dass der Verzicht auf den Wettbewerb aus technischen Gründen zwingend ist, wurde der geschlossene Vertrag für unwirksam erklärt.

Von Praktikern, für Praktiker: Die cosinex Akademie

III. Hinweise für die Praxis

Liest man als Vergabepraktiker die vorstehend dargestellte Entscheidung, mag man sich fragen, wie in der täglichen Arbeit eine den Ansprüchen der Vergabekammer genügende Begründung für das Vorliegen eines technischen Alleinstellungsmerkmals erarbeitet werden soll. Zur Ehrenrettung der Vergabestelle muss festgestellt werden, dass dort mehr Sorgfalt in die Begründung sowie die Durchführung der Markterkundung investiert wurde, als es vielerorts üblich ist.

Auf der anderen Seite darf nicht übersehen werden, dass der Verzicht auf den Wettbewerb aufgrund technischer Vorgaben eine der weitreichendsten Entscheidungen in einem Vergabeverfahren ist. Gerade, wenn der Wettbewerb aufgrund einer produktspezifischen Ausschreibung nicht nur eingeschränkt, sondern gänzlich ausgeschlossen wird, bedarf es einer wesentlich größeren Rechtfertigungstiefe.

Erwägungsgrund 50 der Vergaberichtlinie (2014/24/EU), der auch von der Vergabekammer herangezogen wurde, verlangt für diesen Fall:

„Angesichts der negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb sollten Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung einer Auftragsbekanntmachung nur unter sehr außergewöhnlichen Umständen zur Anwendung kommen. Die Ausnahme sollte auf Fälle beschränkt bleiben, in denen (…) von Anfang an klar ist, dass eine Veröffentlichung nicht zu mehr Wettbewerb (…) führen würde, nicht zuletzt, weil objektiv nur ein einziger Wirtschaftsteilnehmer in der Lage ist, den Auftrag auszuführen. (…)

Öffentliche Auftraggeber, die auf diese Ausnahme zurückgreifen, sollten begründen, warum es keine vernünftigen Alternativen oder keinen vernünftigen Ersatz gibt, wie die Nutzung alternativer Vertriebswege, einschließlich außerhalb des Mitgliedstaats des öffentlichen Auftraggebers, oder die Erwägung funktionell vergleichbarer Bauleistungen, Lieferungen und Dienstleistungen.

Ist die Ausschließlichkeitssituation auf technische Gründe zurückzuführen, so sollten diese im Einzelfall genau beschrieben und nachgewiesen werden. Als solche könnten beispielsweise angeführt werden, dass es für einen anderen Wirtschaftsteilnehmer technisch nahezu unmöglich ist, die geforderte Leistung zu erbringen, oder dass es nötig ist, spezielles Wissen, spezielle Werkzeuge oder Hilfsmittel zu verwenden, die nur einem einzigen Wirtschaftsteilnehmer zur Verfügung stehen. (…)“

Im Zweifel sollte man sich dem Wettbewerb stellen, da sonst – wie von der Vergabekammer entschieden – die Unwirksamkeit des geschlossenen Vertrages droht.

Manch eine Vergabestelle mag ohnehin die Erfahrung gemacht haben, dass ein wettbewerbliches Verfahren schneller und effizienter durchzuführen ist, als die ganze Energie in Begründungen zu stecken, warum Wettbewerb hier ausgeschlossen sein soll.

Bildquelle: BCFC – shutterstock.com