endlich Klarheit beim § 134 GWB

Erfüllt eine in einem Projektraum hochgeladene Vorabbenachrichtigung die Kriterien des „Absendens“ gemäß 134 GWB? Immer mehr Beschlüsse sorgen für Klarheit, was diese Frage betrifft.

Der Autor

Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.

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Denn jüngst hat sich auch die Vergabekammer Sachsen der Ansicht der Vergabekammer des Saarlandes angeschlossen und die Frage ebenfalls bejaht (28.07.2021, 1 / SVK / 043 – 20). Dabei hat sie sich explizit mit der anderslautenden vorherigen Entscheidung der VK Südbayern auseinandergesetzt.

I. Der Sachverhalt

Im Rahmen einer EU-weiten Vergabe hat die Vergabestelle die Vorabbenachrichtigung gem. § 134 GWB in den Projektraum der Vergabeplattform (Bietercockpit) hochgeladen. In dem Nachprüfungsverfahren hat der betreffende Bieter u.a. geltend gemacht, dass dies der Textform nicht genüge und auch kein „Absenden“ im Sinne des § 134 GWB sei.

II. Der Beschluss

Dem trat die Vergabekammer entgegen. Das Informationsschreiben entspreche dem Textformerfordernis und sei von der Vergabestelle im Sinne des § 134 Abs. 2 GWB elektronisch abgesendet worden.

Die Vergabekammer hat explizit die Rechtsansicht der VK Südbayern (Beschluss vom 29. März 2019 – Z3-3-3194-1-07-03/19 – wir berichteten) nicht geteilt und sich der Entscheidung der Vergabekammer Saarland (Beschluss vom 22. März 2021 – 1 VK 06/2020 – siehe auch hier unsere Berichterstattung) angeschlossen. Die Vergabekammer Sachsen hat sich intensiv mit der Funktionsweise der Vergabesoftware auseinandergesetzt.

1. Textform i.S.d. § 126b BGB?

Zunächst stellt die Vergabekammer auf die Voraussetzung des § 126b BGB ab, wonach es sich um eine lesbare Erklärung auf einem dauerhaften Datenträger handeln müsse, in der die Person des Erklärenden genannt sei. Ein dauerhafter Datenträger sei jedes Medium, das es dem Empfänger ermögliche, eine auf dem Datenträger befindliche, an ihn persönlich gerichtete Erklärung so aufzubewahren oder zu speichern, dass sie ihm während eines für ihren Zweck angemessenen Zeitraums zugänglich sei, und geeignet sei, die Erklärung unverändert wiederzugeben (§ 126b BGB). Demzufolge entspreche beispielsweise eine E-Mail, ein USB-Stick oder eine Speicherkarte dem Textformerfordernis.

Diese Anforderungen seien vorliegend gewahrt. Es handele sich sowohl bei der Nachricht über das Vorliegen einer neuen Information im Projektraum als auch bei dem ihr als Anlage beigefügten PDF-Dokument um eine lesbare Erklärung, in der jeweils die Person des Erklärenden genannt worden sei. Auch wurde diese auf einem dauerhaften Datenträger abgegeben, denn die Nachricht konnte aufbewahrt, ausgedruckt und gespeichert werden. Es sei bei dem verwendeten technischen System ausgeschlossen, dass der Auftraggeber einmal versendete Nachrichten nachträglich ändert oder löscht, denn dieser habe weder auf den Bieterbereich der Vergabeplattform noch auf das Bieterpostfach des Bietercockpits Zugriff. Durch Betätigen des „Sende“-Buttons im Vergabemanager würden die Nachrichten unwiderruflich „auf den Weg“ gebracht. Sie könnten somit sowohl im Bieterbereich der Vergabeplattform als auch im Bietercockpit für einen angemessenen Zeitraum unverändert wiedergegeben werden.

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2. „Hochladen“ als „Absenden“ i. S. d. § 134 Abs. 2 GWB

Nach § 134 Abs. 2 Satz 1 und 2 GWB darf der Vertrag erst 10 Kalendertage nach Absendung der Information geschlossen werden.

Danach sei Fristbeginn der Tag nach der Absendung der Information durch den Auftraggeber. Für den Beginn der zu beachtenden Frist komme es darauf an, wann der öffentliche Auftraggeber sich der schriftlichen Mitteilungen an die betroffenen Bieter entäußere; also wann er diese Schriftstücke aus seinem Herrschaftsbereich so herausgegeben habe, dass sie bei bestimmungsgemäßem weiterem Verlauf der Dinge die Bieter erreichen würden, deren Angebote nicht berücksichtigt werden sollten.

Bei Übertragung dieser Maßstäbe auf andere (elektronische) Übermittlungen liege eine Absendung demnach dann vor, wenn ohne weiteres Zutun des öffentlichen Auftraggebers unter normalen Umständen mit der Übermittlung der Information an den Adressaten innerhalb des für das konkret verwendete Kommunikationsmittel üblichen Zeitraums zu rechnen sei. Würde die Information per Post versandt, sei die Übergabe an den Postdienstleister erforderlich; per E-Mail bedürfe es der Übermittlung an den Postausgangsserver. Die Ablage im Postausgang (tatsächlich oder virtuell) genüge in beiden Fällen nicht, da dann noch eine Handlung des öffentlichen Auftraggebers zur Übermittlung notwendig sei. Auf den Tag des Zugangs bei den betroffenen Bewerbern und Bietern komme es für die Fristberechnung nicht an.

Entscheidend sei, dass die Nachricht den Machtbereich des Absenders verlassen habe und so elektronisch in Textform „auf den Weg gebracht“ werde, dass bei regelgerechtem Verlauf die Information in den Machtbereich des Empfängers gelange und sie insbesondere nicht mehr vom Absender einseitig verändert oder gelöscht werden könne (unter Hinweis auf: VK Saarland, Beschluss vom 22. März 2021 – 1 VK 06/2020).

Bei der verwendeten Vergabeplattform sei bereits durch das Absenden der Nachricht aus dem Vergabemanager des Auftraggebers – konkret durch die Betätigung des „Sende-Buttons“ – damit zu rechnen, dass diese bei regelgerechtem Verlauf in den Machtbereich des Empfängers gelangt.

Von Praktikern, für Praktiker: Die cosinex Akademie

3. Bieterpostfach ist mit E-Mail vergleichbar

Das Bieterpostfach des „AI-Bietercockpits“ und der Bieterbereich der Vergabeplattform gehören zum Machtbereich des Bieters (vgl. VK Saarland, Beschluss vom 22. März 2021 – 1 VK 06/2020 – und VK Münster, Beschluss vom 31. März 2021 – VK 1 – 09/21).

Bezüglich des hier von der Antragstellerin verwendeten AI Bietercockpits könne dessen technische Ausgestaltung und Funktionsweise bezüglich des Empfangs von Nachrichten mit dem Versand bzw. dem Erhalt einer E-Mail verglichen werden. Das E-Mail-Postfach des Empfängers gehört unstreitig zu dessen Machtbereich.

Auch der Bieterbereich der hier verwendeten Vergabeplattform gehörte zum Machtbereich des Bieters. Dieser registriere sich auf dieser Vergabeplattform und der ihm zugehörige Bieterbereich könne nur von ihm unter Angabe seines Benutzernamens und des von ihm gewählten Passwortes aufgerufen werden. Sofern ein Bieter sich einen Account auf einer E-Vergabeplattform durch Registrierung anlege, bestimme er damit auch, dass dieses Postfach für den Empfang von Erklärungen an ihn genutzt werden könne (unter Hinweis auf: VK Münster, Beschluss vom 31. März 2021 – VK 1 – 09/21).

Lagert der Bieter seinen „Briefkasten“ zur Entgegennahme von Erklärungen im Vergabeverfahren auf diese Vergabeplattform aus, ist für die Vergabekammer kein Grund ersichtlich, warum die rechtlichen Folgen andere sein sollten als bei dem Empfang einer E-Mail. Das Postfach der Vergabeplattform ist dann seiner Sphäre zuzuordnen. Dies insbesondere deshalb, weil technisch sichergestellt sei, dass der Auftraggeber keinen Zugriff auf den Bieterbereich hat. Nachrichten, welche einmal durch Betätigen des „Sende-Buttons“ im Vergabemanager dessen Herrschaftsbereich verlassen haben, könnten von diesem nicht zurückgeholt, geändert oder nachträglich gelöscht werden.

III. Hinweise zur Praxis

Nunmehr sind die Vergabekammern Sachsen, Saarland und Münster mit guten Argumenten der Ansicht der VK Südbayern entgegengetreten. Angesichts von also inzwischen drei Entscheidungen dürfte auch die letzte Unsicherheit bei den Vergabepraktikern schwinden.

Wer sich inhaltlich vertieft mit den dogmatischen Hintergründen der Entscheidung der VK Südbayern auseinandersetzen möchte, dem sei noch einmal unser Blogbeitrag zu diesem Thema empfohlen. Es ist erfreulich, dass die dortige Argumentation sich in den drei Beschlüssen wiederfindet.

Titelbild: David Travis – Unsplash