Justitia

Die gesetzliche Pflicht zur elektronischen Kommunikation greift umfassend. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass die anzuwendenden Formulare meist noch auf dem Stand der schriftlichen Kommunikation und insbesondere der schriftlichen Angebotsabgabe sind. Das OLG Naumburg hat unlängst Hinweise dazu gegeben, wie bspw. mit nicht ausgefüllten Unterschriftsfeldern etc. umzugehen ist (04.10.2019, 7 Verg 3 / 19).

Der Autor

Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.

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Inhaltlich geht es dabei um einen Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung. Da sich später im Rahmen eines Vergleichs geeinigt wurde, ist in dieser Sache keine Hauptsacheentscheidung ergangen. Gleichwohl erscheinen die Ausführungen so praxisrelevant, dass eine Darstellung lohnt.

I. Der Sachverhalt

Eine Vergabestelle schrieb einen Reinigungsauftrag EU-weit über eine E-Vergabeplattform aus.

Die Vergabeunterlagen enthielten die Aufforderung zur Abgabe eines Angebots, welche auf der Grundlage des Formulars 631 EU des VHB-Bund Ausgabe 2017 erstellt wurde. In Ziffer 8 führte die Vergabestelle zur Angebotsabgabe unter anderem aus, dass „bei elektronischer Angebotsübermittlung in Textform“ das Angebot zusammen mit den Anlagen bis zum Ablauf der Angebotsfrist über die Vergabeplattform der Vergabestelle zu übermitteln sei („falls vorgegeben, ist das Angebot mit der geforderten Signatur/dem geforderten Siegel zu versehen„).

Die Vergabeunterlagen enthielten Bewerbungsbedingungen auf Grundlage des Formblattes 632 EU VHB-Bund Ausgabe 2017. In Ziffer 3.2 dieser Bewerbungsbedingungen wurde festgelegt, dass für das Angebot die von der Vergabestelle vorgegebenen Vordrucke zu verwenden seien. Der Vordruck des Angebotsschreibens auf der Grundlage des Formblattes 633 VHB-Bund Ausgabe 2017 sah vor, dass die Anlagen, welche Vertragsbestandteil werden sollten, anzukreuzen waren, u.a. das Leistungsverzeichnis mit den Preisen und den geforderten Angaben und Erklärungen (Seite 1). Am Ende des Vordrucks befand sich ein zweigeteiltes Kästchen, in dessen oberen Bereich stand: „Unterschrift (bei schriftlichen Angeboten)“.

Im unteren Feld war im Fettdruck angegeben: „Ist

  • bei einem elektronisch übermittelten Angebot in Textform der Name der natürlichen Person, die die Erklärung abgibt, nicht angegeben,
  • ein schriftliches Angebot nicht an dieser Stelle unterschrieben oder
  • ein elektronisches Angebot, das signiert werden muss, nicht wie vorgegeben signiert, wird das Angebot ausgeschlossen.“

Der den Vergabeunterlagen beigefügte Vordruck der sog. Bewerbererklärung gemäß RdErl. MW vom 12.11.2008 enthielt eine Schlusszeile, in der unter zwei durchgezogenen Linien „Unterschrift/-en“ und „Datum“ gefordert wurden. Auch weitere Verpflichtungserklärungen und die Leistungsbeschreibung enthielten entsprechende Schlusszeilen.

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Daraufhin gab das Unternehmen das Angebot über das vorgegebene Bietertool der Vergabeplattform ab. Allerdings waren die Unterschriftzeilen nicht mit einer (gescannten) Unterschrift versehen. In dem VHB-Angebotsschreiben hatte das Unternehmen kein Kreuz für das Leistungsverzeichnis gesetzt und eine enumerative Aufzählung der sonstigen Anlagen fehlte. Allerdings hatte das Unternehmen die Erklärung zur Einbeziehung des Leistungsverzeichnisses in ihr Angebot auf einem inhaltlich identischen Formular 2-633-Angebot.pdf, welches sie als einziges der parallel angebotenen Formulare zum Angebotsschreiben ausgefüllt hat, ausdrücklich erklärt.

Die Vergabestelle hat im Rahmen der formalen Angebotsprüfung u.a. vermerkt, dass die Eigenerklärungen und die „Leistungsbezeichnung“ des Unternehmens jeweils nicht unterschrieben bzw. separat in Textform signiert worden seien. Aus diesem Grund wurde das Angebot ausgeschlossen.

Nachdem eine Rüge gegen den Ausschluss des Angebotes erfolglos blieb, stellte das Unternehmen einen Nachprüfungsantrag.

Die Vergabekammer hielt den Nachprüfungsantrag für unbegründet. Sie hielt das Angebot für unvollständig, womit es gem. § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV auszuschließen sei. Im Wesentlichen stützte sie sich darauf, dass das VHB-Angebotsschreiben kein Kreuz aufweise, welches die gewollte Einbeziehung des Leistungsverzeichnisses in das Angebot widerspiegele und unter den „sonstigen Anlagen“ keine ausdrückliche Aufzählung enthalte. Hierdurch sei zugleich ein Ausschlussgrund nach § 57 Abs. 1 Nr. 1 VgV gegeben, weil nicht sicher festzustellen sei, ob sich die qualifizierte Signatur des Angebots auf den gesamten Inhalt des amtlichen Leistungsverzeichnisses und der beigefügten Erklärungen beziehe.

Gegen diese Entscheidung legte das Unternehmen sofortige Beschwerde ein. Zugleich stellte das Unternehmen einen Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung.

II. Exkurs: Verlängerung des Zuschlagsverbotes

Das Unternehmen wandte sich mit einem Antrag auf Verlängerung des Zuschlagsverbotes an das OLG. Rechtlicher Hintergrund dieses Schrittes ist, dass die sofortige Beschwerde lediglich eine aufschiebende Wirkung von zwei Wochen nach Ablauf der Beschwerdefrist (§ 173 Abs. 1 S. 1 und 2 GWB) hat. Danach könnte der Zuschlag innerhalb des Verfahrens der sofortigen Beschwerde erteilt werden, es sei denn, die aufschiebende Wirkung wird auf Antrag durch das OLG verlängert.

Über diesen Antrag entscheidet das OLG unter Berücksichtigung aller möglicherweise geschädigten Interessen (§ 173 Abs. 2 GWB). Der Vergabesenat hat eine Abwägung vorzunehmen zwischen dem Interesse des die Beschwerde führenden Wirtschaftsteilnehmers an der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes und dem u.U. gleichgerichteten Interesse der Allgemeinheit an einer rechtmäßigen Entscheidung im Vergabeverfahren einerseits und dem Interesse der Vergabestelle an einem raschen Vollzug seiner Vergabeentscheidung und dem u.U. gleichgerichteten Interesse der Allgemeinheit an einer wirtschaftlichen Erfüllung der im Aufgaben des Antragsgegners anderseits. Das Beschwerdegericht kann bei seiner Entscheidung im Eilverfahren auch die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels und die allgemeinen Aussichten des Antragstellers, den ausgeschriebenen öffentlichen Auftrag zu erhalten, berücksichtigen.

Da der Vergabesenat der Hauptsacheentscheidung in diesem Rahmen nicht vorgreifen kann, äußert er lediglich „Zweifel“ an den Ausführungen der Vergabekammer. In der Praxis weichen Senate in der Hauptsacheentscheidung allerdings nur selten von ihren zuvor geäußerten Einschätzungen ab. Insoweit darf von einer fundierteren Befassung durch das OLG mit den aufgeworfenen Fragen durchaus ausgegangen werden.

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III. Die Entscheidung

Der Vergabesenat hielt den Antrag auf Anordnung der Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde für zulässig (§ 173 Abs. 1 S. 3 GWB) und begründet (§ 173 Abs. 2 GWB).

Nach Ansicht des Vergabesenats ist die eingelegte sofortige Beschwerde nicht ohne Erfolgsaussichten, weshalb die aufschiebende Wirkung zu verlängern sei.

Von den unterschiedlichen Gesichtspunkten werden nachfolgend lediglich drei wiedergegeben:

1. Zur Vollständigkeit

Soweit die Vergabekammer die Unvollständigkeit des Angebots daraus herleitet, dass im Angebotsschreiben die in das Angebot einbezogenen Anlagen nicht eindeutig erkennbar seien, weil im VHB-Angebotsschreiben das Kreuz für das Leistungsverzeichnis und eine enumerative Aufzählung der sonstigen Anlagen fehle, begegnet diese Rechtsansicht nach Einschätzung des Vergabesenats konkreten Zweifeln. Was Inhalt eines Angebotes ist, ist nicht allein an den gesetzten Schriftzeichen abzulesen, sondern im Wege der Auslegung zu ermitteln. Für die Auslegung können auch die äußeren Umstände herangezogen werden, hier insbesondere die beiden nachfolgenden:

Die Antragstellerin hat die vermisste Erklärung zur Einbeziehung des Leistungsverzeichnisses in ihr Angebot auf einem inhaltlich identischen Formular 2-633-Angebot.pdf, welches sie als einziges der parallel angebotenen Formulare zum Angebotsschreiben ausgefüllt hat, ausdrücklich erklärt.

Zudem hat das Unternehmen die genannten Unterlagen ausgefüllt, teilweise inhaltlich, teilweise durch Wiederholung des Datums des Angebotsschreibens und alle Erklärungen dem einheitlich signierten „Daten-Paket“ Angebotsunterlagen beigefügt.

Das Gesamtangebot ist dahin auszulegen, dass es jeweils mit den ausgefüllten Formblättern als abgegeben gilt.

2. Zum Formmangel

Das OLG sah keinen Formmangel darin, dass diverse Eigenerklärungen von dem Unternehmen lediglich ausgefüllt – z. B. hinsichtlich des Datums der Fertigung der Erklärung – und nicht ausgedruckt, unterschrieben, ggf. gestempelt und wieder eingescannt worden sind.

Nach § 53 Abs. 1 VgV seien die Bieter berechtigt, ihre Angebote (insgesamt) in Textform nach § 126b BGB mithilfe elektronischer Mittel zu übermitteln und der öffentliche Auftraggeber verpflichtet, die elektronische Kommunikation anzuerkennen. Der Auftraggeber hat lediglich ein Ermessen darüber, welches Sicherheitsniveau er festlegt (§ 10 Abs. 1 VgV). Danach genügt bei elektronischer Übermittlung „des Angebots“ in allen seinen Teilen die Übermittlung des Angebotsschreibens und aller zum Angebotsinhalt bzw. zur Angebotserläuterung gehörender Erklärungen des Bieters sowie aller seiner sonstigen Eigenerklärungen jeweils die Textform, welche keine, auch keine eingescannte Unterschrift vorsieht.

Zwar könnte etwas Anderes dann gelten, wenn der Auftraggeber in eindeutiger, unmissverständlicher Weise weitere oder andere Anforderungen an die Form der Angebote gestellt und keiner der Teilnehmer des Vergabeverfahrens dies als vergaberechtswidrig gerügt hat. Ein solches eindeutiges Verlangen hat die Vergabestelle hier in den Vergabeunterlagen nicht zum Ausdruck gebracht. Ihre Festlegungen in der Aufforderung zur Angebotsabgabe beschränkten sich für elektronisch übermittelte Angebote im Wesentlichen auf die qualifizierte Signatur. In den Bewerbungsbedingungen war lediglich die Verpflichtung zur Verwendung der vorgegebenen Vordrucke enthalten; gesonderte Formerfordernisse wurden dort nicht aufgeführt. Allein aus dem Vorhandensein einer Schlusszeile mit der Aufforderung zur Unterschriftsleistung war bei einer Ausschreibung, in der grundsätzlich elektronisch kommuniziert werden sollte, nicht abzuleiten, dass diese für elektronische Angebote systemwidrige Aufforderung Geltung erlangen sollte. Dies gilt umso mehr, als die Vergabestelle für die Vergabeunterlagen jeweils Formulare aus den Jahren 2009 nutzte, also jeweils aus Zeiten, in denen die Abgabe schriftlicher Angebote noch der Regelfall war.

3. Zur Unvollständigkeit

Die von der Vergabekammer vorgenommene Angebotsauslegung, dass wegen der i.E. unvollständigen Ausfüllung des VHB-Angebotsformulars zweifelhaft sei, ob sich die qualifizierte elektronische Signatur des „Daten-Paketes Angebotsunterlagen“ auf alle Bestandteile des Pakets beziehe, ist aus den o.a. Gründen einer an §§ 133, 157 BGB orientierten objektivierten Auslegung zweifelhaft.

4. Zur Gesamtabwägung

Bei der Gesamtabwägung stellte der Vergabesenat eingangs darauf ab, dass bisher im Nachprüfungsverfahren eine mündliche Erörterung der Sach- und Rechtslage noch nicht stattgefunden habe. Die Vergabekammer hat ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden. Vor diesem Hintergrund bekäme die Gewährung eines effektiven Primärrechtsschutzes, welche die Aufrechterhaltung des prozessualen Zuschlagsverbots erfordere, zusätzliches Gewicht.

Dem gegenüber wiege das Interesse an einer raschen Zuschlagserteilung hier geringer. Bei den ausgeschriebenen Leistungen handelt es sich um sog. Hilfsleistungen zur Aufgabenerfüllung des Auftraggebers. Die Erbringung dieser Dienstleistungen sei durch einen Interimsvertrag gesichert. Es erscheine hinnehmbar, dass die mit der neuen Ausschreibung beabsichtigte Vergabe geringfügig verzögere, zumal der Senat den Termin der mündlichen Verhandlung bereits in vierzehn Tagen anberaumt habe.

IV. Hinweise für die Praxis

Auch bei der Verwendung von Formularen mit Unterschriftsfeld genügt nach neuer Rechtslage die Textform nach § 126 b BGB. Diese sieht keine eingescannte Unterschrift vor, was auch widersinnig wäre, stellt doch eine (jedenfalls nicht deutlich lesbare) eingescannte Unterschrift bestenfalls ein Bild ohne weitere rechtliche Bedeutung dar. In diesem Zusammenhang ist besonders interessant, dass der Vergabesenat offensichtlich davon ausgeht, weiterreichende Forderungen, die ausdrücklich eine Unterschriften-Scan beinhalten, seien vergaberechtswidrig.

Ein deutlich gelockertes Verständnis im Hinblick auf die Formstrenge von Angeboten im Bereich der „Unterschrift“ erscheint insgesamt auch sachgerecht. So war es erkennbarer Wille des Gesetz- bzw. Verordnungsgebers im Ober- wie im Unterschwellenbereich, die elektronische Textform nach § 126b BGB und damit das geringste „Signatur-“Niveaugenügen zu lassen. Dieser Maßstab sollte nicht durch Herausgeber von Formularsammlungen unterlaufen und damit eine Angebotsabgabe wieder erschwert werden.

Bildquelle: BCFC – shutterstock.