EU Flaggen

Für öffentliche Auftraggeber gelten zukünftig eine Reihe neuer Vorgaben der EU, die nichts mit der Beschaffung von Gütern oder Dienstleistungen zu tun haben. Ein Beitrag von Norbert Dippel und Carsten Klipstein gibt einen ersten Überblick und wirft die Frage auf, ob mit der aktuellen Verweisungspraxis der EU nicht auch mindestens faktisch ein neuer „Behördenbegriff“ geprägt wird.

Von öffentlicher Verwaltung haben auch Nicht-Juristen meist ein recht klares Verständnis: Bund, Länder und Kommunen sowie deren häufig in öffentlich-rechtlicher Form organisierte Einrichtungen. Der Begriff des öffentlichen Auftraggebers hingegen geht – wie allgemein bekannt – weit darüber hinaus: Die Begriffsbestimmung des öffentlichen Auftraggebers in § 99 GWB umfasst neben den sog. institutionellen öffentlichen Auftraggebern (insb. Gebietskörperschaften wie Bund, Länder und Kommunen) auch andere juristische Personen des öffentlichen und des privaten Rechts, die zu dem besonderen Zweck gegründet wurden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen. Nach dem Verständnis des Vergaberechts handelt es sich hierbei um Auftraggeber im Sinne des sog. funktionalen Auftraggeberbegriffs. Hierzu gehören bspw. die klassische Stadtwerke GmbH, Entsorgungsbetriebe und Stadtgärtnereien, aber auch Krankenkassen, ggf. Messegesellschaften bis hin zur städtischen Theater GmbH.

Die vorgenannten (funktionalen) Auftraggeber dürften sich ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Beachtung des Vergaberechts heute meist bewusst sein. Dass aufgrund der Auftraggebereigenschaft im Sinne des § 99 GWB allerdings auch weitere – weit über das Vergaberecht hinausgehende – Vorgaben, insbesondere im Kontext der Digitalisierung der Verwaltung, zu beachten sind, ist häufig nicht bekannt.

Öffentliche Auftraggeber als neuer „Verwaltungsbegriff“ der EU?

Grund hierfür ist, dass die EU offenkundig die Definition des öffentlichen Auftraggebers bzw. des öffentlichen Auftrags, also den Anwendungsbereichen der klassischen EU-Vergaberichtlinie (2014/24/EU), verwendet, wenn ein „weiter“ Verwaltungsbegriff zu Grunde gelegt werden soll. Für öffentliche Auftraggeber gelten damit eine Reihe von Vorgaben auch außerhalb des Vergaberechts.

Ein Beispiel soll dies verdeutlichen: Das E-Government Gesetz (kurz EGovG) aus dem Jahr 2013 war angelegt, die digitale Verwaltung zu stärken. Sein Anwendungs- bzw. Geltungsbereich beschränkt sich nach § 1 auf die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit der Behörden und Einrichtungen des Bundes; vergleichbare Regelungen in den Bundesländern folgten. Soweit so klar, mag sich der Justitiar etwa einer städtischen Theater GmbH denken: „Zwar sind wir öffentlicher Auftraggeber, üben aber keine öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit aus. Damit haben die Vorgaben für uns keine Relevanz“. Ausgehend von dieser Grundüberlegung wird der Justitiar in unserem Beispiel darauf vertrauen, dass auch nachfolgende Gesetzesänderungen des E-GovG keine Relevanz für ihn entfalten.

Vorsicht!“ könnte man dem Justitiar zurufen und ihm empfehlen, die letzte Änderung zur Umsetzung der EU-Rechnungsrichtlinie zu lesen. Er würde erstaunt auf § 4a EGovG stoßen, wonach nunmehr auch „öffentliche Aufträge“ für den elektronischen Rechnungsempfang über den Geltungsbereich des § 1 EGovG erfasst werden müssen. Damit fällt auch seine städtische Theater GmbH als öffentlicher Auftraggeber in den Anwendungsbereich des EGovG bzw. der erwartbar analogen Umsetzung der E-Government-Gesetze der Länder.

Dieses auf viele funktionale öffentliche Auftraggeber übertragbare Beispiel zeigt, dass die Eigenschaft „öffentlicher Auftraggeber“ auch zu weiteren rechtlichen Vorgaben führt.

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Worauf sich öffentliche Auftraggeber einstellen sollten

Die cosinex und die weiteren Unternehmen der Gruppe befassen sich über das Vergaberecht hinaus mit vielen Themen rund um die Digitalisierung der Verwaltungen und ihrer Prozesse; hier insbesondere der Transformation rechtlicher Grundlagen in technische Lösungen. In diesem Rahmen sind wir auf einige weitere Beispiele gestoßen, die wir (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) im Folgenden zusammengestellt haben. Allen Vorgaben ist gemein, dass sie im Hinblick auf den persönlichen oder sachlichen Anwendungsbereich auf die klassische EU-Vergaberichtlinie bzw. den dort definierten Begriff des öffentlichen Auftraggebers oder öffentlichen Auftrags verweisen. Kurz gesagt: Rechtliche Vorgaben, die öffentliche Auftraggeber und auch unsere städtische Theater GmbH treffen, weil die EU bei der Frage nach den Anwendungsbereichen auf Vorgaben des Vergaberechts zurückgreift.

eIDAS-Verordnung

Über die sog. eIDAS-Verordnung als Nachfolgerin der Signatur-Richtlinie (Verordnung (EU) Nr. 910/2014 über elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt) und ihre Bedeutung für und Umsetzung in das Vergaberecht wurde bereits im Rahmen eines Beitrags in diesem Blog berichtet. Aber auch über die vergaberechtlichen Implikationen hinaus verweist die Verordnung bei der Frage der Begriffsbestimmung für eine „Einrichtung des öffentlichen Rechts“ in Art. 3 der Verordnung auf Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 der klassischen EU-Vergaberichtlinie. Diese Bestimmung enthält die Definition des funktionalen Auftraggeberbegriffs nach § 99 Abs. 2 GWB: So gilt für den Zugang zu Online-Diensten, dass im Fall einer „elektronischen Identifizierung mit einem elektronischen Identifizierungsmittel“ die in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten elektronischen Identifizierungsmittel grundsätzlich (an-)erkannt werden müssen, sofern die weiteren Anforderungen nach Art. 6 der Verordnung vorliegen.

Erlaubt also unsere Theater GmbH auf ihrer Homepage die elektronische (Vor-)Bestellung von Eintrittskarten (nur) mit einer Authentifizierung über die eID-Funktion des neuen Personalausweises, sollte sie sorgfältig prüfen, ob aufgrund dessen nicht auch alle anderen vergleichbaren Authentifizierungsmechanismen der Ausweise aller anderen EU-Mitgliedstaaten entsprechend zugelassen (und technisch geprüft) werden müssen.

Richtlinie zur Barrierefreiheit

Ein weiteres – noch nicht in deutsches Recht umgesetztes – in der Praxis besonders relevantes Beispiel betrifft die Vorgaben zur Barrierefreiheit: Im Amtsblatt der EU wurde am 02.12.2016 die neue Richtlinie über den barrierefreien Zugang zu den Websites und mobile Anwendungen öffentlicher Stellen veröffentlicht (EU 2016/2102). Dank ihr soll Behinderten und älteren Menschen der Zugang zu Daten und öffentlichen Dienstleistungen im Internet erleichtert werden (vgl. hierzu auch unseren Blog-Beitrag).

Ihr persönlicher Anwendungsbereich geht über die bisherige Verordnung zur Schaffung barrierefreier Informationstechnik nach dem Behindertengleichstellungsgesetz (BITV) bzw. den § 1 Abs. 2 (und 3) des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) hinaus und umfasst Internetauftritte und -angebote sowie mobile Anwendungen wie etwa Apps aller „öffentlichen Stellen“ unmittelbar. Bei der Frage, was unter einer öffentlichen Stelle im Sinne der Richtlinie zu verstehen ist, findet sich in Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 der Richtlinie ein „schlanker“ Verweis auf die funktionalen Auftraggeber im Sinne der klassischen EU-Vergaberichtlinie und auch hiernach wäre unsere Theater GmbH mit ihrer Homepage erfasst.

Die E-Rechnung

Das oben bereits angerissene Thema der E-Rechnungsrichtlinie stellt für die Praxis ein ebenfalls bedeutendes und auch in unserem Blog wiederholt besprochenes Beispiel dar. Immerhin „droht“ zukünftig die Verpflichtung zur Entgegennahme elektronischer Rechnungen mit engen (auch technischen) Vorgaben zu Datenformaten & Co.

Auch hier gilt: Der Anwendungsbereich der, den nationalen Vorgaben zugrunde liegenden, EU-Richtlinie verweist auf (EU-weite) Aufträge öffentlicher Auftraggeber im Sinne der Vergaberichtlinie. Dabei ist der Bund in seiner Umsetzung in Form des oben bereits erwähnten § 4a EGovG sowie der entsprechenden Verordnung darüber hinausgegangen und bezieht – mit wenigen Ausnahmen – auch alle Rechnungen mit ein, die im Zuge von Unterschwellenvergaben übermittelt werden.

Abhängig von der Umsetzung der Vorgaben in den Bundesländern sollte unsere (fiktive) Theater GmbH also zudem prüfen, ob sie nicht zukünftig verpflichtet ist, etwa die Rechnung des französischen Lieferanten für Bühnenausstattung in dem E-Rechnungsformat des Rechnungsstellers (also hier einem französischem E-Rechnungsformat, soweit dieses der europäische Norm (CEN/TC 434) entspricht), zu akzeptieren.

Die EU-Geschäftsgeheimnis Richtlinie

Last but not least: Die neue Richtlinie über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung (2016/943/EU).

Wie der Name schon sagt, soll mit ihr der Schutz vertraulicher Informationen und von Geschäftsgeheimnissen verbessert werden. Ein Erwägungsgrund (18) führt aus, dass die in der Richtlinie gefassten Geheimhaltungspflichten (insb.) solche Informationen betreffen, die öffentlichen Auftraggebern im Rahmen der Vergabe öffentlicher Aufträge übermittelt werden – natürlich mit Verweis u.a. auf die klassische Vergaberichtlinie (2014/24/EU). Und auch hier wäre unsere städtische Theater GmbH …wieder mit dabei.

Unser Fazit: Ein neuer Behördenbegriff der EU?

Die oben gewählten Beispiele zeigen – zugegebenermaßen z.T. überspitzt – die Tragweite der Verweisungspraxis auf. Öffentliche Auftraggeber außerhalb der Kernverwaltung sind gut beraten, bei allen neuen Vorgaben rund um die Digitalisierung der Verwaltung zukünftig zu prüfen, ob sie aufgrund ihrer Eigenschaft als funktionaler öffentlicher Auftraggeber nicht ebenfalls auf diese verpflichtet werden.

Zudem kann wohl festgehalten werden, dass mit dem persönlichen Anwendungsbereich der klassischen EU-Vergaberichtlinie mindestens faktisch auch ein neuer Verwaltungs- bzw. Behördenbegriff geprägt wird.

Bildquelle: jorisvo – Fotolia.com

Foto von Norbert Dippel

Norbert Dippel ist Rechtsanwalt u.a. für Vergaberecht und verstärkt seit dem 01. November 2017 unser Team als Syndikusanwalt.

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Carsten Klipstein ist Geschäftsführer der cosinex.